Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
auf der Flucht vor den Bergen Äthiopiens über die Flußufer gespült wurde. Auf dem Schlamm gründete der Bauer seine Existenz, aus dem Schilf machte der Fischer sein Boot, und der Pharao machte sich, besorgt um sein nächstes Leben, an den Fels. Auf Papier aus Papyrusschilf schrieben Ägyptens Schriftgelehrte Kapitel der ältesten Geschichte der Menschheit. Stein wurde auf Papyrus befördert, und das Papyrusboot wurde auf Stein verewigt. Die Papyrusblüte findet sich überall in der Kunst des alten Ägypten wieder. Sie war das Staatssymbol für Oberägypten, und in der Mythologie band sie der Vogelmann Horus , der Sohn des Sonnengottes Ra , mit der Lotusblüte Unterägyptens zusammen, als ganz Ägypten zu einem einzigen Reich vereint wurde.
Wenn man ein Balsafloß bauen will, muß man wie die Inkas in die Urwälder Ecuadors ziehen und frische Dschungelbäume voller Saft holen. Wenn man ein Papyrusboot bauen will, muß man wie die Männer des Pharao in die großen Papyrussümpfe an den Nilufern waten und frisches Schilf schneiden. Wenn ein Pharao ein Boot bauen wollte, hatte er keine besonderen Probleme. Seine spezialisierten Bootsbauer wußten nach der Erfahrung vieler Generationen alles über Papyrus und Papyrusboote. Er verfügte über einen unbegrenzten Arbeiterstab, und das Baumaterial wuchs in ungeheuren Mengen direkt vor dem Schloßtor. Die Papyrussümpfe erstreckten sich zu beiden Seiten des Nilufers von der Küste des Mittelländischen Meeres meilenweit in das Wüstenland Ägyptens.
Aber das war einmal.
»In Ägypten wächst kein Papyrus mehr«, versicherte Georges Sourial. Georges war ein ägyptischer Froschmann und kannte den Nil genau. »Steine sind reichlich vorhanden, wenn du versuchen willst, eine Pyramide zu bauen, aber nicht mal genug Papyrus für ein Spielzeugboot«, sagte er und steuerte unser Rennboot näher ans Ufer, damit ich mich mit eigenen Augen überzeugen konnte.
Der Nil war voller Segel und Mäste, die zwischen Palmstämmen, Sandbänken und bestellten Äckern flußaufwärts und flußabwärts glitten, aber kein einziger goldhaariger Papyrushalm beugte länger seinen buschigen Kopf in dem Versuch übers Ufer, sich in dem braunen Nilwasser zu spiegeln. Schon im vorigen Jahrhundert war der Papyrus in Ägypten ausgestorben. Niemand wußte warum. Die Götter hatten eins ihrer ältesten Geschenke zurückgenommen. Sie mußten es förmlich mit der Wurzel ausgerissen haben. Der Stein war übriggeblieben, Felsen und Pyramiden, aber selbst der Schlamm war größtenteils verschwunden. Die neuen Herrscher des Landes haben ihn hinter den gigantischen Betonmauern des Assuan-dammes an der Flucht gehindert. Mit dem Papyrus an den Nilufern waren auch die letzten Ägypter ausgestorben, welche die Kunst beherrschten, Papyrusboote zu bauen.
Mit Kamel und Pferd, mit Auto, Zug und Boot zogen wir den malerischen Nil aufwärts und abwärts. Wir waren Gäste auf Fischerbooten und Frachtkähnen. Wir saßen auf sonnendurchglühten Decksplanken und aßen arabisches Fladenbrot und weichen alten Käse, der direkt auf Deck lag und den wir mit den Fingern abkratzten. Wir taten alles in der Hoffnung, den Flußschiffern, die nie Schuhe getragen hatten und selten oder nie einen Tag an Land verbrachten, weil sich ihre Frauen, Kinder, Haustiere und ihre irdischen Güter an Bord befanden, Informationen zu entlocken. Sie waren an Bord geboren. Das geflickte Holzboot mit der Zelthütte war das Zuhause des Nilfischers, sein Dorf, seine Welt. Wir lernten einiges darüber, wie Menschen auf einer Decksfläche zusammengepfercht, die kaum Ellbogenfreiheit bot, alle Verrichtungen des Lebens erledigen konnten. Wir lernten, wie man auf einem brennbaren Deck in einem Lehmofen mit offenem Feuer kochen konnte; und wir lernten getrockneten Proviant kennen, der sich in der Sonnenglut in einem offenen Boot hält. Aber wenn jemand etwas über Papyrus erfuhr, dann die Fischer von uns. Sie hatten noch nie eine Papyrusblüte gesehen, nicht einmal den kleinen Busch, der den Touristen zu Ehren im Springbrunnen vor der Treppe des Kairoer Museums angepflanzt war. Sie hatten noch nie eine Grabkammer von innen gesehen, nie von ihren Vätern gehört, und sie wußten nicht, daß auf dem Nil einst andere Boote benutzt wurden als der Typ, auf dem sie heute selbst lebten.
Aber der Nil ist lang. Er erstreckt sich quer durch Ägypten, den ganzen Sudan bis an seine fernen Quellen in Uganda und Äthiopien. An den Seen, wo der Nil entspringt, hat die
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