Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
getaner Arbeit mit Spielen in den friedlichen Strom wirbeln, welche die Quelle des Nil kennzeichnen. Etwas weiter unten wirbelte ein einzelnes Papyrusboot in wilder Fahrt über weiße Stromschnellen, den großen Fällen gefährlich nahe, aber die schwarze Gestalt an Bord manövrierte das kleine Fahrzeug behend aus den hellen schäumenden Wellen heraus und fuhr von den Schatten des ruhigeren Ufers verborgen zum See zurück.
Das Mondgebirge. Es ragt zum Mond empor. So mußte diese Landschaft den Wiederentdeckern des Mittelalters erschienen sein, die vom Roten Meer oder von der ägyptischen Ebene heraufgestiegen waren. Der Wasserspiegel des Tanasees liegt 1.500 m über dem Meer, und die Berge, die in einem Kranz den See umgeben, sind bis zu 4.000 m hoch. Trotzdem ist die Wasserfläche so groß, daß man die gegenüberliegende Küste nicht erkennen kann. Auf dem See haben die schwarzen Mönche Zuflucht gesucht. Sie halten sich auf üppigen Dschungelinseln weit draußen im See auf, und ihre einzige Verbindung zur Umwelt ist jahrhundertelang das Papyrusboot gewesen. Sogar aus der Entfernung konnte man in der späten Abendstunde eine interessante Beobachtung machen. Während die Papyrusboote auf dem abgelegenen Tschadsee achtern quer abgeschnitten sind und nur ihr Bug nach oben geschwungen ist, hatte dieser Typ, der an den Nilquellen überlebte, die uralte ägyptische Form bewahrt. Sowohl Bug als auch Achtersteven bogen sich hoch über das Wasser, und der Achtersteven war zu dem eigentümlichen altägyptischen Schnörkel über dem Boot gekrümmt. Dieser Anblick in der stillen Abendstunde an der Quelle des Nil war wie eine Vision über dem Fluß, ein Blick zurück durch die Zeiten in die friedlichen Morgenstunden der Geschichte.
Der letzte verbliebene Ausschnitt der Tropensonne versank senkrecht hinter fernen Baumkronen, und damit ging das Licht langsam wie in einem Kinosaal aus. Mit seinem Erlöschen waren die dunklen Berge und der See wieder in die Zeitlosigkeit versunken. Der milde Nachtwind trug angenehme würzige Gerüche und einen schwachen Hauch zeitloser Mystik mit sich, einen Hauch von den Inseln dort draußen, auf denen die Zeit stillstand und das Mittelalter noch lebendig war - beschützt und gehegt von traditionsverbundenen Mönchen, welche seit ungezählten Generationen Lebensweise, Bekleidung, Rituale und Glauben verewigten, die ihre heiligen Vorgänger im Mittelalter auf die Inseln gebracht hatten. Obgleich auf ihren Inseln gigantische Dschungelbäume wachsen, sind die Mönche nie dazu übergegangen, Kanus oder Plankenboote zu bauen; ihre Vorväter hatten das Papyrusboot des Altertums ins Mittelalter gepaddelt, nun paddelten sie es unbeirrt weiter ins Atomzeitalter. Wir waren gekommen, um von den Mönchen zu lernen, wir wollten aus ihrer Erfahrung mit Papyrusbooten Nutzen ziehen. Und keiner würde besser wissen, wo wir genügend Papyrus für unsere Zwecke finden konnten.
Woher waren die Lehrmeister der Mönche gekommen? Papyrusboote und Pharaonen sind nicht als einzige im Altertum zwischen den Ländern an beiden Enden des Nil ausgetauscht worden. Sogar das aufstrebende Christentum des Altertums hatte den Weg von Ägypten nach Äthiopien gefunden, tausend Jahre bevor der lange Winterschlaf des Mittelalters den natürlichen Kontakt zwischen der Ebene an der Nilmündung und dem Hochland an den Nilquellen verschleierte. Schon um das Jahr 330, mehrere Jahrhunderte bevor das Christentum in den Norden Europas kam, breitete sich das koptische Christentum von Ägypten nach Äthiopien aus. Die ersten Christen ließen sich damals in dem alten Königreich Axum, mitten im äthiopischen Hochgebirge nördlich des Tanasees, nieder. Später flüchteten viele von ihnen südwärts bis zu den verborgenen Inseln in den großen Seen Tana und Swai, um Verfolgungen wegen ihres Glaubens zu entgehen. Die schwarzen Mönche, die sich auf dem Tanasee versteckt hielten, hatten sich nun 700 Jahre dort aufgehalten und neue Generationen geworben, indem sie junge Männer aus dem Land holten und in Papyrusbooten auf die Inseln paddelten.
Um die Mönche aufzusuchen und die Papyrus vorkommen des Sees zu erforschen, mieteten wir ein eisen beschlagenes Motorboot, das ein Papyrusboot im Schlepp hatte. Zwei dieser Metallboote waren von einem ideenreichen Italiener an den Tanasee gebracht worden; er benutzte sie als Konkurrenz zu allen Papyrusbooten, die Korn von den kleinen Ladeplätzen am Ufer zu den großen Märkten im Norden und Süden des
Weitere Kostenlose Bücher