Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
abgelöst werden könnten Carlo und der Judomeister Georges übernahmen die Wache mit frischen Kräften. Abdullah kroch in die Hütte, um eine wohlverdiente Pause zu machen, und ich stieg über die Papyrusrollen nach vorn, um das Vorderdeck zu inspizieren. Es war so sehr mit Krügen, Ziegenledersäcken und Gemüsekörben vollgestapelt, daß man vorläufig nur nach vorn kam, wem man auf dem äußersten runden Schilfrand entlangbalancierte. Direkt vor dem aufgeblähten Segel saß Santiago, breit grinsend an den Hühner käfig gelehnt, und genoß den Ausblick nach der fernen Küste. Meine Glieder waren nach den vielen Stunden am Steuerruder steif geworden; ich ließ mich neben ihm nieder und entspannte mich zum ersten Male nad vielen hektischen Wochen, als wir uns beide unbesdireiblich über die souveräne Fähigkeit des Papyrusboots freuten, alle turmhohen Wellen zu bezwingen, die sich von Steuerbord gegen uns warfen, ohne uns auch nur eine anständige Dusche zu verpassen. Ich streckte mich aus und spürt« trotz meiner Erschöpfung Lebensfreude in mir aufsteigen. Da wurde ich plötzlich von einem dreistimmigen Notschrei aus dem Freudenrausch gerissen:
»Thor! Thor!«
Kaum fünf Minuten waren vergangen, seit ich auf der Brücke gestanden hatte. Ich sprang auf und ergriff den Rand des plötzlich flatternden Segels, um nicht auf dem Schilfrand den Halt zu verlieren, als ich mich voll banger Ahnungen nach achtern vorbeidrängte. Hinter dem Segel schwankte Juri wie ein betrunkener Seiltänzer auf mich zu, vor lauter Eifer sprach er nur russisch und zeigte gestikulierend nach hinten, wo die beiden auf der Brücke ihre Köpfe hervorstreckten und in ratloser Verzweiflung nach mir riefen. Alle waren also an Bord. Solange keiner von uns über Bord ging, würden wir es schon schaffen. Georges gestikulierte mit den Armen, und Carlo brüllte auf italienisch, daß die Steuerruder gebrochen seien. Beide! Ein Blick genügte, um den Umfang des Schadens zu erkennen. Beide Ruderschafte waren direkt über der Schulter des Ruderblatts am Hals quer abgebrochen, und beide gelbbraunen Ruderblätter schwammen oben und hingen wie zwei Wellenreiter im Schlepp. Iroco konnte unmöglich so festes Holz sein, wie man uns erzählt hatte. Glücklicherweise hatten wir nach ägyptischem Brauch an jedem Blatt einen Tampen befestigt, damit das Ruder nicht hinten wegschwimmen konnte, und wir beeilten uns, die lebenswichtigen breiten Ruderblätter einzuholen, ehe die Tampen rissen. Carlo und Georges standen mit zwei leeren Schäften da, die nach hinten ins Wasser ragten, sie hatten keine Fläche, um den Kurs zu beeinflussen, wie sehr sie auch an den Griffen drehten.
Das war wie ein Schlag in die Magengrube.
»Müssen wir zum Hafen zurück?« kam es kleinlaut von Carlo. Die drei Männer achtern fixierten mich mit fragenden, unglücklichen Blicken.
Mir blieb keine Zeit für eine Antwort, denn ich entdeckte, daß sich die Ra langsam drehte und das Segel aufs neue gefüllt wurde; der Bug des Schilfboots zeigte genau in unsere Richtung, und die Ra steuerte unangefochten den Kurs, den wir mit Gewalt zu halten versucht hatten. In derselben Sekunde begriff ich, was eben geschah, und fühlte mich freudig erleichtert. Die beiden senkrechten Ruder, die vorn immer noch wie ein Kielschwert festgebunden waren, erfüllten nun ernstlich ihre Funktion, weil da kein Ruder oder sonst etwas mehr achtern als Kiel ins Wasser ragte. Der Seewind schob den Achtersteven nach Backbord und brachte das ganze Fahrzeug folglich auf einen Kurs, der automatisch vom Land wegführte.
»Wonderful!« rief ich auf englisch und legte alle sichtbare Freude in den Ruf, um die Männer mit meiner neuen Sicherheit anzustecken. Sie waren aus gutem Grund schon nahe daran, alle Hoffnungen aufzugeben, die Reise über den Atlantik fortsetzen zu können.
Durch den Spektakel kroch der fiebernde Norman gerade rechtzeitig aus der Hütte, um meinen begeisterten Jubelruf mitzubekommen. Entzückt fragte er, was los sei.
»Prachtvoll!« wiederholte ich enthusiastisch. »Beide Steuerruder sind gebrochen, deswegen können wir nun mit der alten Gaara-Methode der Inkas weiterfahren!«
Norman sah mich mit fiebernden Augen leer an; er war zu schwach, um zu entscheiden, ob er lachen oder weinen sollte. Die anderen starrten mich forschend an; alle waren sichtlich im Zweifel, ob ich wegen des Unglücks nicht den Verstand verloren hatte oder ob ich irgendwelche unbekannte indianische Zauberkünste beherrschte. Mit
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