Exponentialdrift - Exponentialdrift
Haag beginnt der Prozeß gegen den früheren jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic, dem Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden.
13. Februar 2002
Aschermittwoch.
FOLGE 21
E INE FESTE, WEICH gerundete Brust lugte unter der Decke hervor, und die Brustwarze auf der milchweiß schimmernden Haut sah so unbeschreiblich zart aus, daß es kaum zu fassen war. Was für ein Kontrast zu den blaulackierten Fingernägeln der Hand, die entspannt auf der Decke lag, den blauen Haarsträhnen –
Jürgen Röber fuhr hoch. Nein! Sah an sich herab. Nackt. In einem fremden Bett. Das durfte nicht wahr sein. Sein Blick fand eine Uhr, die halb acht zeigte. Oh, verdammt ...!
Er glitt aus dem Bett, suchte seine Sachen zusammen, die wild über dem Fußboden verstreut lagen. Das Mädchen seufzte unwillig und drehte sich auf die andere Seite, wachte aber nicht auf. Er wußte nicht einmal, wie sie hieß. Allerhand, wenn man bedachte, daß er nach Berlin gekommen war, um Susanne einen Heiratsantrag zu machen. Das konnte er jetzt ja wohl vergessen.
Wie hatte das nur ...? Eine Flut von Erinnerungsbildern kochte in ihm auf, wilde Szenen, die mit sich selbst in Verbindung zu bringen ihm nur mühsam gelang. Einen Moment stand er unschlüssig in Socken und Unterhose, schaute das Bett an vor dem schmalen, endlos hohen Fenster, durch das die Häuser der anderen Straßenseite ganz nah wirkten, ein Dutzend Wohnungen, von denen aus man ihnen hatte zuschauen können, und wußte nicht, was er tun sollte. Nein, nur weg hier. Er schlüpfte in seine Kleider, unglaublich, wie laut Stoff raschelte, und endlich in die Schuhe und hinaus, die Wohnungstür mit angehaltenem Atem leise, leise ins klackende Schloß ziehend.
Ein riesiges, verwohntes Treppenhaus. Auf dem Weg hinab kam ihm ein Mann in einer hellgrünen Jacke entgegen, der ihn ansah, als seien ihm alle Verfehlungen auf die Stirn geschrieben. Röber drückte sich mit einem gemurmelten »Morgen« an ihm vorbei.
»Sie!« sagte der Mann.
Röber blieb stehen, drehte sich fluchtbereit um. »Ja?«
»Wissen Sie, ob hier eine Frau Feldheimer wohnt?« Er hatte etwas Stechendes im Blick. »Vierter Stock, hat es geheißen.«
»Keine Ahnung«, schüttelte Röber den Kopf. »Ich ... ich bin nicht von hier.«
»Verstehe«, sagte der Mann mit wissendem Nicken.
Weiter. Runter, raus. Ein Taxi, wie gerufen. Der Fahrer nickte ihm mit übermüdeten Augen zu, als Röber hastig einstieg und die Adresse nannte. Während der Fahrt fiel ihm ein, seine Geldbörse zu inspizieren: alles noch da. Wenig Bargeld, aber das war gestern abend schon nicht anders gewesen. »Nehmen Sie auch Karten?« fragte er mit einem bangen Blick auf das Taxameter.
Der Fahrer musterte ihn im Rückspiegel, ließ sich Zeit. »Klar.«
Tausend Ausreden schossen ihm durch den Kopf. In den Tiefen seines Geistes war ein Quell von Kreativität erwacht, den er so noch nie an sich bemerkt hatte. Aber sie taugten alle nichts, die Ausreden. Das war das Ende. Susanne würde ihn hochkant hinauswerfen.
Aber – Halleluja! Der Schutzengel der Untreuen war mit ihm! – die Wohnung lag leer und genau so, wie er sie verlassen hatte. Auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht, auf halb drei Uhr nachts datiert, Susanne mit schwerer Zunge: »Hallo, Jürgen? Schläfst du schon? Du, wir sind noch weiter zu Margit, und ich denk’, ich werd’ hier schlafen.« Im Hintergrund johlendes Frauengelächter. »Ich bring’ morgenfrüh Schrippen und so mit für ein tolles Frühstück, okay? Nicht böse sein.«
Seine Chance! Gnade des Himmels! Er eilte ins Schlafzimmer, legte sich ins Bett, drehte und rollte und wälzte sich eilig unter den Laken, schlug die Decke zurück und stand wieder auf. Ja, das sah eindeutig benutzt aus. Er riß das Fenster auf, was später die Abwesenheit des unsimulierbaren Schlafmiefs erklären würde, schlüpfte aus den Kleidern und huschte nackt ins Bad. Halt, der Schlafanzug! Zum Glück ohnehin nicht ganz frisch. An den Haken der Badtür, wo er morgens immer hing. Und ab unter die Dusche, alle Spuren beseitigen.
Er duschte heiß und ausgiebig. Während er seinen Körper nach Kratzspuren und Knutschflecken absuchte, fragte er sich, was um alles in der Welt das Mädchen an ihm gefunden haben mochte. Er hatte die Blicke der anderen Männer gesehen; sie hätte jeden haben können. Er konnte es nicht wirklich verstehen.
Er konnte es nicht einmal wirklich bedauern. Er wischte den
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