Exponentialdrift - Exponentialdrift
sitzen, während er Nachrichten, Reportagen aus aller Welt und Wissenschaftsmagazine verfolgte wie ein Besessener.
»Genau, das ist es«, fuhr Bernhard Abel sinnend fort. »Es läuft eine Art Prozeß gegen die Menschheit, und ich bin dabei ein verdeckter Ermittler.«
Evelyn stellte ihr Glas mit einem Knall auf den Couchtisch. »Das ist doch strunzdummer Blödsinn, was du da redest, Bernhard. Verdeckter Ermittler! Was, bitteschön, ermittelst du denn? Du liest Zeitungen und siehst fern. Na toll. Das wird mir ja wohl ein Prozeß werden, wenn deine außerirdischen Auftraggeber nicht mal imstande sind, sichdie Tagesschau selber anzuschauen. Ich meine, wo man diese ganzen Sendungen sowieso über Satelliten im Weltraum sendet.« Sie sah in sein erstauntes, geradezu entgeistertes Gesicht, und das brachte sie erst recht in Rage. »Und warum überhaupt ein Prozeß? Womöglich, weil wir so viele Kriege führen? Hör auf. Das ist nicht einmal mehr verrückt, das ist schon kitschig. Abgesehen davon möchte ich mal wissen, was das irgendwelche Außerirdischen angeht!?«
Abel sah sie an und nickte bestürzt. »Du hast recht«, sagte er und wiederholte: »Du hast recht. Ich darf mich nicht im Gleichgewicht einrichten. Ich muß etwas tun. Ich muß den Mann finden, der hier war, und herausfinden, was er von mir wollte.«
Evelyn hörte überhaupt nicht zu. Sie massierte ihre Schläfen und murmelte: »Außerdem möchte ich wissen, warum das alles ausgerechnet mir passiert. Was habe ich verbrochen? Verdammt, Bernhard, ich dachte, es würde besser werden, als du aufgewacht bist! Ich dachte wirklich, es wird besser. Aber statt dessen zwingst du mich zu ...« Sie hielt inne. »Ach, was soll’s. Im Grunde will ich bloß wissen, warum du mich nicht anfaßt.«
»Dich anfassen?«
»Himmel, Bernhard, es ist ein Vierteljahr her, seit du wieder da bist. Okay, am Anfang habe ich mir gesagt, du brauchst Ruhe und Schonung, das kommt schon wieder. Aber da kommt gar nichts. Nicht einmal, wenn ich nackt vor dir herumlaufe, reagierst du.«
Endlich begriff er. »Du redest von Zeugung!«
»Scheiße, nein, ich rede von Sex!« Sie sank zurück in die Polster, als wolle sie darin verschwinden. »Ich hasse es, darüber reden zu müssen«, murmelte sie.
»Ich habe es dir doch erklärt«, sagte er geduldig. »Ich bin nicht wirklich dein Gefährte. Ich benutze nur seinen Körper.«
»Ja, ja, ja. Aber Sex ist ja wohl in erster Linie etwas Körperliches, oder?«
»Aber ich verstehe nicht, daß du –«
Sie stand mit einer Plötzlichkeit auf, die ihn verstummen ließ. »Scheiß auf das Geschwätz der Ärzte«, sagte sie und packte ihn am Arm. »Komm mit.«
Fortsetzung folgt ...
4. Februar 2002
Ein Bericht des Bundesrechnungshofes enthüllt, daß die Vermittlungsstatistiken der Bundesanstalt für Arbeit seit langem massiv geschönt wurden. Ihr Präsident Bernhard Jagoda muß zurücktreten.
8. Februar 2002
In Salt Lake City beginnen unter enormen Sicherheitsmaßnahmen die XIX. Olympischen Winterspiele.
9. Februar 2002
Prinzessin Margaret, die jüngere Schwester der britischen Königin Elisabeth II., stirbt in London im Alter von 71 Jahren.
FOLGE 20
E INE FLÜSTERNDE STIMME. »Schon gut. Bleib liegen.« Also war es gut. Also blieb er liegen.
Als er erwachte, war es heller Tag. Die Vergangenheit schien ausgelöscht bis auf ein blasses Echo in seinen Gedanken, die Zukunft existierte gleichfalls nicht, allein die Gegenwart. Dann fiel ihm wieder ein, was in der Nacht gewesen war.
Allerhand. Er drehte sich auf den Rücken. Er hatte, was Sex betraf, auf die Erinnerungen Bernhard Abels zurückgreifen können und deswegen geglaubt, über diesen Aspekt menschlichen Lebens Bescheid zu wissen. Doch wie er sich eingestehen mußte, war sich an den Zeugungsakt zu erinnern nicht dasselbe wie ihn tatsächlich zu vollziehen. Die Erinnerungen schienen nur das Was und Wie zu speichern, doch wie es sich anfühlte, wie es wirklich war – das zu speichern überstieg die Möglichkeiten des Gedächtnisses offenbar bei weitem.
Er sah an sich herab. Sein Körper war immer noch unbekleidet und fühlte sich ... nun ja, gut an. Er konnte es nicht anders nennen. Jedenfalls begann er zu verstehen, warum die Menschen dem Sex so große Bedeutung beimaßen und den Akt selbst ohne Fortpflanzungsabsicht zu vollziehen bereit waren.
Und er begriff auch, was das für seine Mission bedeutete. Seine Aufgabe konnte sich nicht darauf beschränken, die Menschen zu studieren – dazu
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