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Exponentialdrift - Exponentialdrift

Titel: Exponentialdrift - Exponentialdrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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durch die Republik vereinbart, pro Monat mehr als in meinem ganzen bisherigen Dasein als Schriftsteller insgesamt. An Ruhe war nicht zu denken. Ich mußte einen Arbeitsrhythmus finden, der den Umständen Rechnung trug.
    Es erwies sich als glückliche Narretei, daß ich mir einen Monat zuvor ein PSION-Computerchen gekauft hatte. Für diejenigen, die mit Computern nur gemäßigten Umgang pflegen, sei erklärt, daß das eine Art Laptop für Hobbits ist: Zum Aufklappen, aber winzig klein, kaum größer als ein Taschenkalender. Entsprechend schmal fällt natürlich die Tastatur aus, was nicht jedermanns Sache ist, mir jedoch, der ich ohnehin nur mit zweieinhalb Fingern schreibe, nichts ausmacht.
    Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß ich ein Fan dieses Geräts bin. Erst seit ich es habe, merke ich, wie unzulänglich, umständlich und undurchdacht normale PCs im Grunde sind. Es muß etwas aussagen über uns und unsere Welt, daßPSIONs nicht mehr hergestellt werden. Ich hatte Glück, noch einen zu ergattern. Doch der Markt der Palmtops ist inzwischen in den Händen der »Manager-Tamagotchis«. Angeblich können die Handschriften erkennen. Alle Handschriften, ausgenommen meine.
    Die Kombination von Eisenbahn und Palmtop-Computer erwies sich als noch fruchtbarer als gedacht. Grundsätzlich ist ein fahrender Zug – vorausgesetzt, er ist nicht überfüllt – für mich ein Ort, an dem ich gut arbeiten kann. Die stetig vorbeiziehende Landschaft und das gleichförmige Hintergrundgeräusch schaffen eine Atmosphäre, die es mir leichtmacht, in eine Art kreative Trance zu kommen, in der mir Ideen nur so zuströmen. Im Lauf der folgenden Wochen wurde es zu so etwas wie einem bedingten Reflex, in den Zug einzusteigen, der mich an den Ort der nächsten Lesung bringen sollte, an meinem Sitz den Tisch herunter- und den Computer aufzuklappen und dann stundenlang zu schreiben, während draußen Berge, Wälder und Flüsse vorbeiflogen. Und im Gegensatz zu Notebook-Computern mit ihren großen, hellen Bildschirmen, die die ganze Umgebung teilhaben lassen an dem, was man tut, ist der Bildschirm meines PSION von kuscheliger Unbespitzelbarkeit: Nicht einmal ein Sitznachbar kann mitlesen, was ich schreibe.
    Manchmal war die zurückzulegende Strecke so kurz oder ich so in Fahrt geraten, daß ich noch einige Zeit im Hotel weitermachen mußte. Vor allem dem im PSION eingebauten zuverlässigen Wecker ist es zu verdanken, daß ich trotzdem immer am richtigen Bahnhof ausgestiegen bin und auch keine Lesung versäumt habe.
    Wieder zu Hause angekommen, überspielte ich die erstellten Texte in mein normales Textsystem, druckte sie aus, überarbeitete sie noch einmal und schickte sie schließlich, nach den vereinbarten Richtlinien formatiert, per E-Mail an die Redaktion der FAZ. Das Schreiben unterwegs lief so gut,daß ich nicht nur die jeweiligen Folgen des Fortsetzungsromans verfassen, sondern daneben auch an meinem zweiten Jugendroman »Perfect Copy« schreiben konnte. Der dürfte knapp zur Hälfte auf diesen Reisen entstanden sein.
    Mein »Vorrat« an Fortsetzungen schmolz rasch dahin. Am 19. Oktober, zwei Tage vor Erscheinen der vierten Folge, hatte ich die fünfte Folge fertig, außerdem die sogenannte »Notfolge«, die ich Schirrmacher bereits in meinem ersten Konzept angekündigt hatte.
    In diesem Konzept hatte ich mir ausführliche Gedanken zum Modus operandi gemacht. Die Notwendigkeit, jede Woche pünktlich eine fertige Folge abzuliefern, nötigte mir als journalistisch eher unerfahrenem Menschen einigen Respekt ab, weswegen ich detailliert die denkbaren Zwischenfälle durchdiskutierte, in dem Bemühen, Maßnahmen zu ersinnen, ihr Eintreten von vornherein so unwahrscheinlich wie möglich zu machen.
    Es war klar, daß ich die Folgen per E-Mail schicken würde. Da es mir schon mehrmals passiert ist, daß irgendein Computerabsturz mich tagelang vom Internet abgeschnitten hat, war eine Sorge, es könnte im ungeeignetsten Moment zu Übertragungsproblemen kommen. Ich regte deshalb an, zwei Termine in der Woche auszumachen: einen regulären Termin, zu dem ich außer in vorher auszumachenden Ausnahmenfällen abgeben würde, und einen Nottermin, zu dem ich allerspätestens abgegeben haben mußte. Die Regel, die mir vorschwebte, war, daß man mich, falls man bis zum regulären Termin keinen Text von mir vorliegen hatte, anrufen würde, weil in dem Fall von einem Übertragungsproblem auszugehen war. Im äußersten Notfall hätte man den Text per Fax

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