Exponentialdrift - Exponentialdrift
und bei weitem ehrgeizigsten Buches Eine Billion Dollar fest. Ich hatte über zweieinhalb Jahre daran geschrieben und mehr und ausgiebiger dafür recherchiert als für alle meine übrigen Bücher zusammengenommen, um eine Idee zu realisieren, die michüber fünfundzwanzig Jahre lang beschäftigt hatte. Ich hatte nicht mehr und nicht weniger als ein bislang weitgehend unbeackertes erzählerisches Feld entdeckt und mich nach Kräften bemüht, einen umfassenden Claim darauf abzustecken. Ich hatte einen Roman über ein Thema geschrieben, das nach meinem Dafürhalten jeden einzelnen Menschen auf diesem Planeten anging, und ich brannte darauf zu erfahren, welche Reaktionen ich damit auslösen würde.
Und endlich war er da, der große Tag. Ein schöner, sonniger Dienstag, und wie Autoren das so machen, fuhr ich in die Stadt, um in den Buchhandlungen nachzusehen, wo mein neues Buch schon erhältlich war und wie man es plaziert hatte. Shop-Checking nennt man das, selbst als deutscher Schriftsteller, und der Idealfall, auf den man hofft, ist eine pralle Palette direkt beim Eingang. Oder wenigstens ein hoher Stapel neben der Kasse. Aber zumindest einige Exemplare frontal im Neuheitenregal präsentiert.
Verglichen mit diesen Erwartungen waren die Ergebnisse meiner Feldforschung jedoch, gelinde gesagt, enttäuschend: Ich fand mein Buch überhaupt nirgends. Irgend etwas schien mit der Auslieferung nicht geklappt zu haben. »Das ist nicht mein Tag«, sagte ich mir, noch ohne zu ahnen, wie recht ich damit haben sollte.
Ich stattete auf dem Rückweg meinem Freund Thomas Thiemeyer – ein erfolgreicher Science-Fiction-Illustrator, der auch einige meiner Romane in verführerische Bilder gehüllt hat – einen Besuch ab, und wir saßen gerade bei einem Kaffee und unterhielten uns aufs Angenehmste, als das Telefon klingelte. Es war jemand, der meinte, wir sollten den Fernseher einschalten, n-tv oder CNN , in New York sei ein Flugzeug in einen Turm des World Trade Centers gerast. Sensationslüstern schalteten wir ein, gerade rechtzeitig, um das zweite Flugzeug in den zweiten Turm rasen zu sehen.
Und so weiter. Jeder hat so eine Geschichte zu erzählen.
Ich weiß noch, daß ich dasaß und einer meiner Gedanken war: »Wenn der Fortsetzungsroman jetzt schon laufen würde, müßte ich das einbauen. Und ich hätte nur zwei Tage Zeit dazu.«
So sind Schriftsteller nun mal.
In dem Moment, in dem ich das dachte, ahnte ich noch nicht, wie gelähmt ich die folgenden Tage sein würde, Stunden um Stunden hypnotisiert vor dem Fernseher verbringend, außerstande, meinen Geist auf anderes zu richten als auf den Versuch, zu begreifen, daß die tausendfach wiederholten Videosequenzen der Einschläge Realität waren. Ein Teil von mir dachte immer wieder, »wie soll man so etwas je in einen Fortsetzungsroman einbauen?«, ein anderer Teil fand alles, was je geschrieben worden war, auf einmal entsetzlich banal. Das war das Ende der Unterhaltung. Das Ende der Actionfilme. Niemand würde jemals wieder Romane lesen. Auch mein eigener Roman würde untergehen in dem Strudel, den dieser Anschlag ausgelöst hatte.
Zwei Tage lang war ich kaum in der Lage, eine Zeile aufs Papier zu bekommen. Und ich hatte erst zwei von den vier Folgen, die nötig sein würden, damit die Serie trotz unseres Urlaubs loslaufen konnte!
Nicht ohne Kraftanstrengung schaffte ich es schließlich, mich vom Fernseher loszureißen und am Donnerstag abend wieder an den PC zu setzen. Bis Samstag, den 15.9., hatte ich endlich Folge 3 und 4 geschrieben und alle vier Folgen noch einmal überarbeitet. Mit großer Erleichterung schickte ich alles per E-Mail an die FAZ-Redaktion ab.
Der Urlaub war gerettet.
Daß nur die Ausgabe vom 30.9.2001 in die Zeit unserer Abwesenheit fiel und wir bereits vor Erscheinen der zweiten Folge zurück sein würden, war mir total entgangen. Ich realisierte es erst, als wir wieder nach Hause kamen und nureine einzige Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf dem Stapel mit der Post lag.
7
Der Fortsetzungsroman beginnt
T ROTZDEM WAR ES angenehm, dem Erscheinungsrhythmus um ein sicheres Polster von zwei Folgen voraus zu sein, denn es stand die Frankfurter Buchmesse an, auf der ich als Autor eines der beiden Haupttitel des Lübbe-Verlages Präsenz zeigen und in Interviews Rede und Antwort stehen mußte, ferner ging es los mit Lesereisen. Was heißt ferner? Vor allem. Von Mitte Oktober bis Mitte Dezember waren nicht weniger als 25 Lesetermine quer
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