Exponentialdrift - Exponentialdrift
übermittelt.
Als regulärer Termin wurde später Freitag, elf Uhr, vereinbart. Ein Nottermin wurde nie ausdrücklich festgelegt, aber ich weiß, daß bis weit in den Samstag nochErgänzungen und Änderungen an den Texten der Sonntagsausgabe möglich waren und auch erfolgten. Man bat mich jedoch, möglichst schon bis zum Donnerstag abzugeben, was ich bis auf wenige Ausnahmen auch gemacht habe.
Der GAU, der größte anzunehmende Unfall also, wäre in diesem Zusammenhang natürlich folgende Situation gewesen: Der Nottermin ist verstrichen, keine neue Folge liegt vor, und ich bin nicht erreichbar. Was dann? Da ich wollte, daß selbst ein solcher Notfall ohne Außenwirkung blieb, deponierte ich eine sogenannte »Notfolge« in der Redaktion: eine Episode, die so geschrieben war, daß sie innerhalb eines bestimmten Handlungsabschnittes zu einem beliebigen Zeitpunkt eingesetzt werden konnte. Bildlich gesprochen, eine Art Kasten mit Glasfront, auf der stand: »Im Notfall Scheibe einschlagen und Diskette entnehmen.«
Der tatsächliche Einsatz der Notfolge wäre natürlich eine herbe Sache gewesen, eine Art Notfalloperation, vergleichbar einem Luftröhrenschnitt: Man hat das Äußerste verhindert, aber es sind dann allerhand weitere Maßnahmen in die Wege zu leiten, ehe alles wieder seinen Gang gehen kann. Je nach dem Zusammenhang der übrigen Geschichte hätte ich in den darauffolgenden Episoden entsprechende Passagen einfügen oder abändern, womöglich sogar den gesamten Verlauf der Handlung variieren müssen, um die Dinge im Lot zu halten.
Nachdem das geregelt war, war paradoxerweise meine größte Sorge, anstelle der vorgesehenen Episode könnte eines Tages die Notfolge in den Satz geraten.
Das ist glücklicherweise nie geschehen. Ehe Sie fragen: Die Notfolge wurde, mit einigen wenigen Änderungen, schließlich zur letzten Folge des Fortsetzungsromans.
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Training On The Job
F ÜR EVENTUELL NOTWENDIGE Recherchen stand mir das Archiv der FAZ zur Verfügung. Ich war höchst beeindruckt, mit welcher Geschwindigkeit meine doch teilweise eher verschrobenen Anfragen beantwortet wurden. Über das Apallische Syndrom erfuhr ich mehr, als ich je wissen wollte, desgleichen über Radioteleskope, extrasolare Planeten, SETI und eine Reihe anderer Themen, die ich eine Zeitlang verfolgte, aber schließlich doch nicht in den Roman einbaute.
Ab und an erhielt ich Vorabinformationen, was für Beiträge im Wissenschaftsteil geplant waren. So erfuhr ich etwa am 27. November 2001, daß in der Weihnachtsausgabe ein Artikel über die Drake-Formel erscheinen sollte: Wunderbar! Das paßte! Ich änderte die geplante Handlung ein wenig ab und hatte in der Folge 13 vom 23. Dezember 2001 zwei Leute, die sich über die nach dem Astronomen Frank Drake benannte Formel für die Wahrscheinlichkeit extraterrestrischen Lebens unterhielten. Wer mehr wissen wollte, brauchte bloß ein bißchen zurückzublättern in der Zeitung.
Ein besonderes Datum war der 7. November 2001. An diesem Tag sollte laut der am Sonntag davor erschienenen Folge 6 angeblich jener Fernsehbeitrag ausgestrahlt werden, dessen Zustandekommen in der ersten Folge geschildert worden war und der das spontane Erwachen eines Patienten aus einem vierjährigen Dauerkoma zeigte. Um 18 Uhr 30, bei einem Sender, den ich wohlweislich namentlich nicht näher bezeichnet hatte.
Also setzte ich mich an diesem Abend um halb sieben vor den Fernseher und zappte mich durch die Kanäle, um zu sehen, was nun eigentlich tatsächlich gesendet wurde. MeinenNotizen zufolge berichtete Frauke Ludowig bei RTL EXKLUSIV von einer dieser Frauen, die für nichts anderes bekannt sind als dafür, bekannt zu sein, und von der nun, o Schreck, Nacktbilder aufgetaucht seien, die noch nackter waren als das, was einem die Yellow Press ohnehin nicht ersparte, was ihr aber, welch ein Glück, nicht das geringste ausmachte. Die SAT 1 Nachrichten berichteten über den geheimen Einsatz des KSK der Bundeswehr in Afghanistan, und ein Filmbeitrag bemühte sich zu illustrieren, was dieses Kommando aus 1000 Elitesoldaten, von denen 500 jederzeit combat ready seien, eigentlich so drauf hatte. »Mehr jedenfalls als US-Rangers«, hieß es so stolz, daß man Gänsehaut bekam. Und das Magazin »Brisant« des HR3 berichtete von einem ärztlichen Kunstfehler; Genaueres habe ich nicht notiert.
Dann war sieben Uhr, und ich war erleichtert. Wie es aussah, hatte sich nichts ereignet, das unbedingt in die Geschichte hinein mußte. Ich schaute
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