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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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Brot, das lebendige Brot, Fleisch und Blut und Brot; dem Leben auf der Krümelspur, mein Leben als Leib, mein Leben als Laib ⁠… Das Rezept stimmte nicht. Teig, Form und Farbe fehlte das rechte Maß. Es ekelte mich an.
    Ich wollte im Hunger ausharren, mich bewähren. Dann wollte ich gar nichts mehr. Ich blickte meinem eigenen Ende entgegen, meine 50-tägige Bewährungsprobe hatte nicht die Veränderung mit sich gebracht, nach der ich suchte.
    Die Suche nach einer Hoffnung, die Veränderung erzeugt, wurde nach 50 Tagen abgebrochen.
    Vorerst.
    Mit meiner Ankunft in Kanada leitete ich erneut die Suche ein. Hormonüberschwemmt und aufgestachelt, verwirrt und verirrt, verwöhnt und vernachlässigt, verängstigt und todesmutig ging ich los, gelangte irgendwie nach irgendwo, versuchte mich überall und steckte plötzlich mittendrin, ein lebendiges Ding eingebettet im Unvorhersehbaren. Meine eigene Lebendigkeit drohte, mich in den Wahnsinn zu treiben.

14.
    Sam ist ein herzensguter Junge. Einer, der noch nie eine feste Freundin hatte, der seine Sache gut machen will und Geburtstagsüberraschungen für mich plant, während ich darüber nachgrüble, wie ich in diese Sache, diese Beziehung, überhaupt hineingeraten konnte, und wie ich da möglichst schnell wieder rauskomme.
    Kleine, wiederholte Nachgiebigkeiten haben mich in die gemeinsamen Abende mit Sam hineinschliddern lassen. Schon beim ersten Mal fiel mir auf, dass er nicht küssen kann, und dass mich seine raue, seltsam genoppte, geschmacklich eher unangenehme Zunge anwidert. Beim Sprechen weiß er gut mit ihr umzugehen, beim Knutschen verliert er dagegen jegliche Kontrolle über seinen rosa Buchstabenformer und Geschmackserkenner.
    Der zweite Abend verlief ähnlich qualvoll. Als ob es nicht schon Herausforderung genug gewesen wäre, meinen Ekel und die damit einhergehenden Schauder, die mir über Schultern und Rücken liefen, zu bekämpfen, stellten die Jungs, die vor meiner Zimmertür Posten bezogen hatten, meine Contenance mit lauten Anfeuerungsrufen auf die Probe. Ich bemühte mich nach Kräften, die Krakeelerei, die die Peinlichkeit der Situation ins Unendliche steigerte, zu ignorieren. Sam hatte endlich eine Freundin. Das war DIE Sensation. Schade nur, dass ausgerechnet ich dafür herhalten musste.
    An dieser Stelle muss ich klarstellen, dass ich in Sachen Jungs immer nachgiebig gewesen bin – dummerweise von einer Nach­giebig­keit der spontanen, sprunghaften, unbedachten und vorschnellen Sorte, mit der ich mir des Öfteren Schwierigkeiten anlachte.
    Sam als enger, wenn nicht sogar bester Freund Joshs war meine Eintrittskarte, mein Ticket für den WG-Zug, mit dem ich in unerforschte Gegenden reisen und den ich keinesfalls verpassen wollte. Nach meinem Umzug in die Centennial, der einen umständlichen, 45-minütigen Schulweg mit sich brachte, veränderte sich Sams Funktion; die Fahrkarte wurde zum Fahrer, zum Privatchauffeur, der allmorgendlich in der verschneiten Einfahrt auf mich wartete. Zum Unterricht abgeholt zu werden, zeitlich flexibel, mit genügend Beinfreiheit und erstklassigen Kassettentapes, übertraf den gelben Schulbus an Attraktivität bei Weitem. Dem sonnenfarbenen Ungetüm verweigerte ich mich auch noch, nachdem Sam seinen Chauffeurdienst quittiert hatte. Fand sich kein »ride«, zog ich es vor zu laufen oder zu schwänzen. Letzteres, in Deutschland noch mit Aufwand und Ärger verbunden, wurde in Kanada zu einem herrlich harmlosen Unterfangen ohne Konsequenzen.
    »Skip School« – das hatte den sorgenfreien, unbeschwert­vor­sich­hin­hüpfenden Klang eines blaugemachten Tages, verkündete fröhliche, ausgelassene Stimmung.
    Aber jetzt sind erst mal Weihnachtsferien. Die Gedanken an Schule und an dringend benötigte Mitfahrgelegenheiten warten irgend­wo am Horizont der nächsten Woche. Die Jungs sind gerade mit wichtigtuerischen Geheimniskrämer-Mienen in Richtung Down­town losgezogen. Natürlich weiß ich längst, dass sie in Geburtstagsangelegenheiten unterwegs sind ⁠… Nichts ist offensichtlicher als das, was man verbergen will.
    Zur Untätigkeit verdammt, durchstreife ich das leere Oberge schoss, stelle mich ans Wohnzimmerfenster, blicke hinaus ins Weiß und verfluche die sinnlose Warterei auf eine Überraschung, die mich nicht überraschen wird. Die Aussicht, Freude über etwas heucheln zu müssen, das mit dem Tag meiner Geburt und den seither verbrauchten Lebensjahre zu tun hat, ist nicht sehr berauschend.
    Grimmig betrachte ich

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