Export A
kleiner Tannenbaum, den Derrick und ich ohne jedes Werkzeug aus dem Waldstück hinterm Haus geholt haben. Aufgrund der Biegsamkeit dieses verdammten Nadelbaums dauerte es eine Ewigkeit, das Ding abzubrechen. Wir schleppten ihn ins Haus und lehnten ihn gegen die Esszimmerwand, wo er stehenblieb, bis auch noch die allerletzte Nadel von ihm abgefallen war und nur sein Bierdosenschmuck im Lampenschein glänzte.
Sonst bleibt nur noch Blakes Stereoanlage zu erwähnen, deren Soundqualität erst ab einem gewissen Alkoholpegel zu ertragen und deren einzig zuverlässige Funktion der Lautstärkeregler ist.
Und sonst? Die Küche ist eine Küche ist eine Küche. Unsere Schränke sind vorrats- und geschirrfrei. Einzig Blake, der seine 150 Kilo schließlich irgendwie halten muss, ist im Besitz von Lebensmittelvorräten, hortet Tiefkühlpfannkuchen und mannshohe Stapel Macaroni-with-Cheese. Der große Blake ist reich an gelbgoldenem Käse, Eigentümer eines Schatzes aus Weißmehl und Zucker. Man tut gut daran, die Finger von seinen heiligen Fressalien zu lassen, will man nicht von einer wütenden Fleischkugel überrollt und in hohem Bogen aus der Hintertür geworfen werden.
Diese Hintertür führt in einen kleinen Windfang hinter der Küche, durch den man ins Freie auf die Holztreppe gelangt, die als Raucherbalkon genutzt wird. Im Laufe der Zeit wird der Vorraum zur Müllhalde, fängt Abfälle statt Wind ein und wird schließlich unpassierbar. Der blaue Tütenberg wächst rasend schnell, sein Gipfel stößt gegen die Decke. Um den Stapel nicht ins Wanken und den Geruch nicht ins Zimmer zu bringen, wird das Öffnen der Hintertür möglichst vermieden, schließlich hat man schon mit dem Gestank der chronisch verstopften Gästetoilette zu kämpfen …
Ein großer begehbarer Schrank, in dem sich Joshs Hockeyausrüs tung und zuweilen auch kichernde Kiffer verstecken, dient als Grenzstein zwischen den Wohn- und den übelriechenden Fäkal- bzw. Hausmüllbereichen im Obergeschoss, für das sich keiner so recht erwärmen kann; das nur Durchgangsstation und Wartesaal ist, wo man Zeit totschlägt, bis in Joshs Zimmer Sitzplätze frei werden oder jener »private« Deal, dem beizuwohnen einem untersagt wurde, ab geschlossen ist. Im Allgemeinen wird der Zutritt zum Unterge schoss dann verweigert, wenn es gilt, bestehende Hierarchien und Rangordnungen zu definieren oder zu festigen.
Ein unwirtlicher Ort, dieser erste Stock, an dem sich – mit Ausnahme des beim Essen einschlafenden, schmatzend Playstation spielenden oder kauend DVD schauenden Blake und der zum Warten Verdammten – niemand lange aufhält, und dessen Sofas erst dann einladend wirken, wenn das Haus vor berauschten Partygästen aus allen Nähten platzt.
Die Musik, die man hören, und der Mensch, neben dem man sitzen will, findet sich immer im Untergeschoss. Hat man die Wahl, entscheidet man sich für den Abstieg, gleitet hinter dem Turnschuhberg sanft nach unten, hinab in ein dämmriges, süßlich duftendes Dunkel. Hier steht den Zimmern das Erdreich bis zum Hals, nur die Fenster lugen über den Rand, kleine Öffnungen, die verzweifelt nach Licht schnappen. Ich genieße das Privileg einer Aussicht auf Stoßstangen und Autoreifen, lasse meine Blicke über eine Landschaft aus Schuhen und Schienbeinen vor schnee-, grau- und gelbweißem Grund schweifen, während Derrick und Josh mit den kümmerlichen Helligkeitsresten, die die Lichtschächte durchlassen, auskommen müssen.
Unsere Schlafzimmer liegen auf der rechten Seite des Flurs, gegenüber befinden sich Badezimmer und Wäschekammer. Der Kater hat Kammer und Klamottenhügel zu seinem Revier erklärt, was sich auf die Sauberkeit eher nachteilig auswirkt.
Das Kellergeschoss hat nichts, nicht die geringste architektonische oder gar physikalische Besonderheit aufzuweisen, die seine ungeheure Anziehungskraft erklären könnte. Nichts, bis auf die letzte Tür rechts. Joshs Tür.
Die wahre, die aufrichtige Antwort auf die Frage nach meiner Adresse lautet »Elisabeth Kerz, next to Josh’s room, Whitehorse .« Zugegeben wird das natürlich nicht.
13.
Es naht die längste Nacht. Die Zeiger drehen ihre Runden, mit jeder Umrundung erhöht sich die Anzahl der gegessenen Plätzchen, der blinkenden Lämpchen, der kitschigen Kleinigkeiten, und während in ordentlichen Haushalten die Bäume in Erwartung des großen Tages strammstehen, hat unserer bereits Unmengen an Nadeln verloren, streift den Bierdosenschmuck von seinen kahlen
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