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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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feinen Rillen, Wirbel, Bögen und Schleifen seiner Fingerkuppen in die Haut prägen zu lassen. Wie oft habe ich ihn gehen, stehen, sich nervös hin- und herbewegen sehen? Jetzt hält er still, lässt mich seine Konturen begreifen und die Farbe seiner Haut riechen.
    Wo Haare und Bart wachsen, verfangen sich meine Berührungen. Auf der glatten Brust fällt das Tasten leichter, rosa Schauer stellen feinste Härchen auf. Ich umfasse das versteifte Rot unterhalb des Bauchnabels und lege mein Ohr auf seine Brust. Zwei pulsierende Organe sind mir nah. Ihre Ähnlichkeit erstaunt mich: Je länger ich hinhöre und hinfasse, desto lebendiger pochen Herz und Penis im selben Rhythmus.
    Später stehen wir dicht an dicht. Heimlich suchen wir unsere Gesichter nach Antworten ab. Keine Fragen, keine Küsse, so lauten die Spielregeln. Ich sehe verschwommenes Braun und Blau und Blau und Braun, eile von einer Gesichtshälfte zur anderen. Josh legt seine Hände an meine Schläfen. Wie zwei Leitplanken begrenzen und verdunkeln sie meine Aussicht. Unsere Nasenspitzen berühren sich.
    Dicht vor meinen Lippen formen sich die ersten und letzten Worte dieser Nacht.
    »I’m sealing us off.«
    Lächelnd bilde ich ein zweites, handförmiges Paar Scheuklappen und lege sie uns an. Jetzt sind die Schotten dicht.
    Unsere Essenzen steigen auf und pressen sich gegen die Glas­körper­scheiben. Außer Blau und Braun und Braun und Blau existiert nichts mehr.
    »Wenn Israel nur ein einziges Mal den Sabbat wirklich halten würde, würde der Messias kommen, denn das Halten des Sabbat kommt dem Halten der Gebote gleich.« (Midrasch, Exodus Rabba 25,12)
    Hätten wir unseren Sabbath vorschriftsmäßig gehalten, wer weiß ⁠… Vielleicht wäre er tatsächlich gekommen, der Messias.
    Aber wir hielten uns nicht an Gebote und waren der Ansicht, das riesige, schwarze Katzentier, genannt »Sabbath«, sei für uns ge macht, nicht wir für (den) Sabbath.
    So versammelt sich regelmäßig eine grölende Menge um eine kleine Pappschachtel im Wohnzimmer. Mindestens zwei Armpaare sind mit blutigen Kratzern verziert. Im Innern der Schachtel eifert der Kater mit großem Gekreische seinen berühmten Namenspatronen, Black Sabbath, nach. Mit einem Taschenmesser werden einige Luftlöcher in den Deckel der Schachtel geschnitten. Wir sitzen im Kreis um den inzwischen verdächtig leise gewordenen, braunen Kubus, auf dessen Kanten vorsichtshalber vier Paar Hände Posten beziehen und Druck ausüben, um mögliche Ausbruchsversuche zu verhindern. Die Bong geht um. Volle Lungenkraft voraus wird an der Glassäule gezogen. Der nächste Schritt ist kompliziert: Ohne auszuatmen muss die Glaspfeife behutsam an den Nebenmann weitergegeben, die Beine dabei entknotet und auf Knien zum Karton gerutscht werden. Erst, wenn mit den Händen ein Trichter gebildet ist und der Mund über den Belüftungslöchern liegt, darf ausgeatmet werden. Wie fleischgewordene Dominosteine fallen die Sitzenden in die Choreografie aus Ziehen, Weiterreichen, Rutschen und Ausatmen, immer schön der Reihe nach, bis der Kopf leer ist und die Bong neu gestopft werden muss.
    Sabbath reagiert auf diese Behandlung sehr unterschiedlich. Mal kommt er zum Ende seines Aufenthalts in der »Hotbox« aggressiv hervorgeschossen und rast mit wild hin- und herpeitschendem Schwanz durchs Zimmer, andere Male scheint ihn die unfreiwillige Luftkur zu beruhigen und beinahe zu sedieren. Dann sitzt er bewegungslos da, starrt teilnamslos vor sich hin und lässt sich sogar streicheln, was sonst unmöglich ist.
    Sabbaths Verhalten bleibt, egal ob nüchtern oder high, unberechenbar. Wir wissen nichts über ihn. Keiner erinnert sich, wann, wie und warum sich Sabbath uns angeschlossen hat. Vielleicht war es ein Selbstdomestikationsversuch von ihm.
    Eines Morgens saß er plötzlich auf Joshs Schoß, der ihn mit der Rechten kraulte, wie einst Dr. Kralle sein Mad-Maskottchen.
    Mir war das Vieh von Anfang an suspekt, wie mir überhaupt alle Tiere suspekt und unangenehm sind und ich sie zu meiden versuche. Wir lassen einander in Ruhe, so ist es mir am liebsten. Doch ist es nicht eben leicht, einem schwarzen Monsterkater aus dem Weg zu gehen, der Eichhörnchen und Ratten ins Haus schleift, sich heimlich in Schränke und Schlafsäcke einnistet, diesem auf Wahrnehmung von Bewegung spezialisierten Schleicher, der jeden Schritt in seine Richtung mit dem Ausfahren seiner scharfen, gebogenen Krallen beantwortet, der mit den Schatten verschmilzt und aus dem

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