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Auge ist offen, kugelrund und bernsteinfarben. Das gesamte mimische Spektrum, von froh bis skeptisch, von wütend bis verächtlich, zeigt sich in Mundwinkel und Brauenbogen der rechten Gesichtshälfte. Hier, im Osten des Gesichts, gehen die Stimmungen auf, erklimmen den Nasengrat und erwärmen den Westen bis zur Schläfe.
Joshs Züge kennen keine Beständigkeit. Seine Augenpartie schwankt stets zwischen erstaunt und kritisch; die Lippen, eine Idee zu fest aufeinandergelegt, verziehen ihre Winkel, ein bisschen stur, ein bisschen spöttisch und manchmal wie von einem zurückgehaltenen Grinsen. Die Unstimmigkeit zwischen den Gesichtshälften stiftet dauernd Verwirrung, der Betrachter wird zum Pendler zwischen braun und blau, immer wieder aufs Neue verblüfft über deren Gegensätzlichkeit. Besonders spektakulär sind Momente großer körperlicher Anstrengung, wenn die rechte Seite rötlich-rosa anläuft, während die linke, passend zum eisblauen Auge, blass und bleich bleibt.
Diese Beobachtungen gehören zu den Studien, die in dem großen, mintgrünen Experimentierkasten auf der Centennial stattfinden. Die Laborräume, in denen intensiv und exzessiv geforscht wird, Grenzen erweitert und Gefühle auf die Spitze getrieben werden, befinden sich im Untergeschoss des Holzkastens. Alle dort stattfindenden Versuche sind Selbstversuche. Wir Forscher ignorieren unsere Unerfahrenheit, akzeptieren die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse und zeichnen uns durch besondere Risikobereitschaft aus.
Die jeweiligen Ausbeuten meiner Aufenthalte in Joshs Zimmer habe ich nie untereinander verglichen, jeder Besuch bildet eine selbständige, unvergleichbare Einheit.
Unser Zusammensein ist unverbindlich.
Wir können einander nahe sein oder meilenweit auf Distanz gehen, uns beschützen, verletzen, umsorgen oder vernachlässigen.
»Mochten« wir uns? Waren wir »befreundet«?
Selbst heute, zehn Jahre später, gelingt es mir nicht, unser Verhältnis zu bestimmen. (Die Wahrheit ist, wie immer, zunächst ganz einfach, dann unendlich komplex und schließlich unauffindbar …).
Am ehesten lässt es sich wohl so beschreiben: Josh und ich konnten uns wirklich sehen.
Wenn er den Raum betrat, konnte ich sehen, fühlen, hören und schmecken, wie seine Anwesenheit, seine Lebendigkeit, die Luft, den Raum und die Menschen um uns veränderte. Umgekehrt war ich mir sicher, dass er mich bereits spüren konnte, wenn meine Hand noch auf seiner Türklinke lag, dass er meine Anwesenheit fühlte und um mich wusste, noch bevor sich unsere Blicke trafen.
Mit Romantik oder Seelenverwandtschaften hatte das nichts zu tun.
Wir schwebten nicht auf Wolken, gurrten uns nichts Kitschiges in die Ohren, waren keine Turteltäubchen. Wir waren kein Liebespaar. Wir hatten nicht viel gemeinsam. Wir waren Forscher. Und wir nahmen uns gegenseitig wahr.
Heute Nacht sind wir verabredet. Nicht zu einer bestimmten Uhrzeit, sondern wenn die Gelegenheit günstig ist, wenn die Besucher verschwunden sind und alles still ist. Gemeinsam stehlen wir uns ein paar nächtliche Stunden und verstecken sie gut. Kein Flüstern verrät uns. Das Protokoll unserer Forschungsreisen speichert unsere Haut.
Kein Klopfzeichen, keine Ankündigung. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, schleiche ich mich ein. Bläuliche Rauchschwaden hängen von den Wänden wie Spinnweben. Meine Füße folgen dem geschlängelten Neonleuchten. Die Dunkelheit, die Josh ist, empfängt und umfängt mich. Bereitwillig lasse ich mir die Kleidung abstreifen. Mein Kopf taucht durch warme Stoffschichten, die Beine entsteigen den gewohnten Röhren. Alles, was unter der Baumwolle eingeschlossen war, kommt zum Vorschein, nur meine Haut umhüllt mich noch. Ich drapiere mich auf der Matratze und sehe Josh zu, wie er sich auszieht. Große, helle Inkarnatflächen kommen zum Vorschein. Die Schlafecke hinter dem Sofa ist ein guter Ort, um nackt zu sein, jeder im Blick des anderen zeichnen unsere Finger das nach, was Josh und Lisa sind.
Meine Linien zögern erst, fliegen fein und vorsichtig, fast ohne Druck über seine Schlüsselbeine und Schultern. Zugleich zieht Josh meine Körperachsen nach über Stirn, Nasenrücken und Kinn weiter zu Hals und Brustbein, zu Bauchnabel und Scham. Seine Hand hinterlässt eine warme Spur vom Scheitel bis zu dem rosa Knopf zwischen meinen Beinen. Er umkreist meine Brüste, verwischt und verschmiert meine Schatten, seine Zunge verziert meine Brustwarzen mit Glanzlichtern. Ich bin bereit, mir die
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