Export A
Schmerz.
Deutsche Sätze purzeln aus meinem Mund, rollen wie Bälle durch den Raum. Niemand spielt sie zurück. Musik reißt mir die Arme in die Höhe, treibt mich zu Tanzbewegungen. Dieser Tisch ist hoch, sehr hoch. Mir schwindelt. Ich darf nicht nach unten sehen. Überall Stolpersteine auf diesem Hochgrat aus Eiche, gefährliches Geröll aus Dosen und Flaschen und Gläsern. Mein Seil reißt.
Aus der Tiefe wird es wohl klirren und krachen, doch ich höre nichts.
Alles verlangsamt sich. Geschehnisse trennen sich von ihren Geräuschen. Münder schnappen auf und zu. Ich taumle von Szene zu Szene, Hauptdarstellerin in einem falsch synchronisierten Film.
Jetzt verlasse ich diesen Ort. Haus und Gebälk verschwinden. Die Welt zerschmilzt. Durch meine Venen fließt Rabenschwärze. Schwer und süß legt sich die Narkose auf all meine Glieder, bemächtigt sich meines Körpers, der mir längst gleichgültig geworden ist.
Das letzte Bild ist orange. Glitzernder, orangefarbener Schnee, irgendwo tief unter mir. Sehen ist anstrengend. Ich breite die Arme aus und überlasse mich meiner Blindheit.
Absolute Stille, totale Amnesie, bis plötzlich ein erster Reiz durch meine Nervenbahnen zuckt und in mein Bewusstsein kracht. Finger stoßen zu mir durch, wie Kükenschnäbel durch Eierschalen. Eine Hand umfasst meine Schultern und rüttelt mich unsanft.
»Hey! Hey, Lis’! Wake up! Come on … Hey! Can you hear me? Wake up!«
Ich schlage die Augen auf.
»That’s good … Thank God … No, no … don’t close your eyes! Stay awake … Hey! Stay here … stay with me Lis’!«
Irgendetwas stimmt nicht.
Meine Schuhe … Sie sind zu klein, viel zu klein. Ich bewege meinen Arm auf die Füße zu.
»Your shoes? Yes, you’re right, we should take them off … Here you go … Now that’s better, eh?«
Allmählich beginnen sich Farben und Umrisse zu ordnen. Ich erkenne Zimmer, Schaumgummi, Schlafsack, eine Stimme. Es ist Derrick.
Die Haut an meinen Füßen ist blass, weißlich, wächsern. Unterhalb der Knöchel scheint alles außer Form geraten zu sein. Derrick kniet am Fußende meines Lagers. Vorsichtig streckt er die Hand aus und berührt einen der schwammigen, geschwollenen Klumpen. Warum fühle ich nichts? Ich will nicht wach sein …
Beim nächsten Aufwachen bemerke ich ein pelziges Kribbeln in Händen und Zehen.
»Are you starting to feel something?«
Ich nicke.
»Good … That’s very good.«
Das Gefühl wird von Minute zu Minute intensiver, steigert sich zu einem unerträglichen Jucken und Brennen. Was da aus den Ärmeln meiner Jacke hervorscheint, erschreckt mich. Zwei krebsrote Flossen verzweigen sich in zehn bläulich-violette Stummel voller kleiner Blasen.
Derrick hilft mir auf, bugsiert mich ins Badezimmer und lässt das Waschbecken vollaufen. Darauf bedacht, Füße und Finger nicht un nötig zu belasten, balanciert er meinen Hintern auf den Badewannen rand und ermöglicht meinen Sohlen eine kurze schmerzlindernde Entlastung. Das Waschbecken vor mir ist voll bis zum Rand.
Ich lasse die erste rote Sonne zu Wasser. Fünf blaue Strahlen gehen voran, die Handfläche folgt ihnen nach. Meine Augen werden nass. Derrick beobachtet mich im Spiegel.
Um Schweigen und Schmerzen erträglicher zu machen, überwinde ich mich und presse eine Frage durch die zusammengebissenen Zähne.
»What happened?«
»Fuck … I don’t know … Suddenly you were gone … They stole my shoes –«
»They did what!?«
»Yeah, somebody stole my shoes! That’s why I went home early!«
»On socks?«
»Yes. I ran all the way home … You … you were like … lying there … outside, in the fucking snow for – fuck, I don’t know for how long …«
Die folgenden Stunden verbringen wir schweigend; lassen Wasserbäder ein- und ablaufen und sehen mir beim Auftauen zu.
Erst als die Schmerzen nachlassen, finde ich die Sprache wieder.
Kleinlaut stupse ich meinem Finder in die Seite …
»Derrick?«
»Hm?«
»Thank you.«
ZWEITER TEIL
23.
Josh und ich.
Wir sind kein Paar. Wir sind Forscher!
Der Versuchsleiter Joshwa Clarenz Ames ist 18 Jahre alt, etwa 1,84 m groß und wiegt knapp 70 Kilo.
Da er sich fast wöchentlich den Schädel rasiert, bleibt unklar, ob seine Haare dunkelblond oder eher hellbraun sind. Sein linkes Lid hängt, aus dem Augenschlitz darunter schimmert ein helles Blau, die kleine, schwarze Pupille versenkt und umschlossen von Gletschereis. Das rechte
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