Export A
aufhält: Eine Fahne billigen Schnapses, gemischt mit einer Art Verwesungsgeruch, reitet auf dem Rücken ihrer Frage in den Rückraum.
Ich erkenne ein bräunliches, zerfurchtes Profil. Schwarze, schulterlange Haarsträhnen kleben fettig an Stirn und Schläfen, fallen über hängende Schultern und verheddern sich mit ihren verfilzten Enden in dem Teppich aus kleinen, hellen Holzkugeln, der den Fahrersitz überzieht. Eine übelriechende Sprachmelodie, ein zischelnder Singsang wabert uns an, und es vergehen mindestens drei oder vier Sätze, bis ich die Laute als gebrochenes Englisch identifiziert habe. Die Jungs hingegen verstehen unseren »Charlie« auf Anhieb.
Wer in Whitehorse aufwächst, gewöhnt sich schnell an besoffene Indianer, kennt ihre Sprechweise und die Schnapsleichen, die morgens entlang der Second Avenue in ihrer Kotze liegen. Wer in Whitehorse aufwächst, weiß, warum Limousinenfahrten oft so günstig sind.
Meine Mitreisenden kramen ihre Beutelchen, Pülverchen, Pfeifen und Flaschen hervor. Das Picknick kann beginnen.
Wir rasen den Alaska Highway Richtung Norden entlang und verpassen die Ausfahrt nach Dawson City. Charlie bremst scharf, mein Glas schwappt über. Er legt den Rückwärtsgang ein und gibt die 500 m bis zur verpassten Ausfahrt Vollgas, was nicht so riskant ist, denn außer ein paar vereinzelten Karibus nutzt heute Nacht keine Seele den Highway. Nicht ein einziges entgegenkommendes oder uns verfolgendes Licht lässt sich blicken. Die Straße gehört uns.
Nach ungefähr 10 Minuten taucht eine »Takhini-Gas«-Tankstelle auf.
Wir verlassen die asphaltierte Bahn und rollen nach links in den Wald. Schwarzer Lack und schwarzer Busch verschmelzen miteinander. Nur die leuchtenden Katzenaugen verraten uns. Der Wagen rumpelt über die Schotterpiste. Mit brüllendem Motor kündigen wir uns den Waldbewohnern an: Eure neue Königin hält Einzug! Seht, wie sich das Mondlicht auf ihrer Schnauze spiegelt! Acht Kids verbirgt sie in ihrem geschwollenen Bauch. Das Fichtenvolk will sie berühren, streift ehrfürchtig über ihre Flanken.
Der Untergrund wird weicher, kiesiger, die Bäume treten beiseite und geben einen großen, grauen, schneefreien Platz frei, an dessen Ende eine dunkle, dreieckige Form in den Himmel ragt.
Der Cadillac kommt zum Stehen.
Ich falle aus der Tür und hake mich bei Bernie ein. Gemeinsam taumeln wir auf das Dreieck zu, in dessen Inneren es nach feuchten Handtüchern, unter Fön verbrannten Haaren und Desinfektionsmittel riecht. Zwei Türen weiter sitze ich auf einer Holzbank zwischen Türmen aus Schließfächern und starre ratlos auf die grünen Nylonecken auf meinen Knien. Im Sitzen kämpfe ich mich aus Pullover und Jeans. Einbeinig zu stehen, traue ich mir nicht zu.
Jetzt wird es kompliziert. Irgendwie muss ich diese Stoffteile über meinen Intimstellen anordnen, sie verknoten, eine Schleife im Nacken binden. Mühsam versuche ich, meine schwerfälligen Augen zu fokussieren. Widerwillig akkomodieren sie schließlich nach meinem Willen.
Die Finger verhalten sich gehorsam, springen auf meine Befehle an, erinnern sich von selbst an die nötigen Griffe und wickeln ihre Schnürsenkelzubindebewegung fast fehlerfrei ab. Auf dem Weg zum Becken kommt mir ein Spiegel entgegen. Mein verschwommenes Gegenüber scheint angemessen bedeckt zu sein. Ich bin erleichtert.
Über dem Außenbecken warten die Sterne, neugierige Augen, denen nichts entgeht. Sie beugen sich zu uns hinab, kommen näher, blinzeln angestrengt, riechen an der dampfenden Suppe, in der wir treiben, acht träge Fleischbrocken in heißer Heilquellenbrühe.
Der Temperaturunterschied ist kaum auszuhalten. Die Kopfboje erstarrt vor Kälte, muss regelmäßig abtauchen um aufzutauen, halsabwärts weichen die Glieder durch, quellen auf, verkochen.
Gesichter und Stimmen durchdringen die Nebel, kommen näher und verschwinden wieder. Ich wate durch das Becken, durchlaufe alle Servicestationen, lasse mir hier einen Joint, dort eine Pfeife reichen, anderswo wartet eine Flasche am Beckenrand.
Irgendwann zerren wir uns gegenseitig aus dem Wasser. Hand in Hand stehen wir im Schnee, keiner fehlt, jeder muss dabei sein. Graham wird als Erster in die Mitte geschubst und bekommt eine weiße, glitzernde Panade. Mich lassen sie bis zum Schluss stehen. Mein Rücken ist der letzte, der weiß wird. Macht nichts, macht gar nichts, in mir brennt goldenes Feuer! Ich sehe, wie ein unkontrollierbares Zittern an meinen Armen und Beinen rüttelt.
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