Extra scha(r)f
anfängt. Sie verpassen nichts, glauben Sie mir ... Na schön, es geht um eine Araberin, die früher einmal Stammkundin bei meinem Vater war. Mein Vater war überzeugt, dass diese Frau - wie alle seine Kundinnen - auf ihn abfuhr, weil sie ihm immer hinter ihrem Schleier zuzwinkerte. Offenbar ist allerdings ihr Ehemann schließlich dahinter gekommen und hat sie zu Tode gesteinigt, denn mein Vater hat sie nie wieder zu Gesicht bekommen, nachdem er ihr einmal ein paar Garnelen extra auf ihr Sandwich getan hatte. Und das ist noch eine seiner glaubwürdigeren Geschichten.
Ich lasse mir Zeit in der Küche. In aller Seelenruhe blättere ich eine Illustrierte durch und stopfe mich mit Keksen voll, bevor ich das Wasser aufsetze. Ich habe keine Eile. Schließlich habe ich mir Dads Geschichten schon mindestens hundertmal anhören müssen. Außerdem möchte ich mit meinem schlechten Gewissen alleine sein. Gleich darauf höre ich ein Poltern, denke mir jedoch nichts dabei. Wahrscheinlich erzählt mein Vater gerade die Geschichte von den drei (beziehungsweise vier oder fünf, je nach seinem Alkoholpegel) maskierten Räubern, die er von der Sandwich-Bar aus durch das halbe Stadtviertel verfolgt hat - diese Anekdote untermalt er nämlich immer mit effektvollen Geräuschen. Allerdings werde ich dann doch stutzig, als plötzlich die Küchentür auffliegt und Maroulla mit kreidebleichem Gesicht hereinstolpert. »Chaglotta, schnell!«, schreit sie. »Deine Vater hat eine Infackt!«
»Eine was?«
»Eine Infackt«, wiederholt sie, wobei sie theatralisch an ihr Herz greift und einen Anfall mimt.
»Himmel, einen Herzinfarkt?«
Sie nickt, und ich schiebe sie zur Seite, um ins Wohnzimmer zu stürzen.
Und da ist mein Vater, in seinem Lieblingssessel, mit Schweißperlen auf der Stirn, die Hand um die linke Brust geklammert. Er sieht aus, als leide er unerträgliche Schmerzen. Mein Vater und einen Herzinfarkt! Das kann einfach nicht wahr sein. Dafür ist er noch zu jung. Und zu fit. Er hat noch sein ganzes Leben vor sich. Schön, das sagen zwar alle, die einen nahe stehenden Menschen zu verlieren drohen, aber ich kann nicht anders. Selbstverständlich ist mein Vater weder jung noch fit, aber ... er ist mein Vater . Warum ausgerechnet er? Das ist bestimmt die Strafe Gottes, weil ich so viel Schande über die Familie gebracht habe.
Meine Mutter steht bei ihm. Aus lauter Angst um die Liebe ihres Lebens hat sie glatt ihren Fernseher vergessen. Als ich sehe, dass ihr Tränen über das Gesicht laufen, erwache ich plötzlich aus meiner panischen Starre. Ich bin ausgebildete Ersthelferin und stehe herum wie ein Stock.
Ich muss was tun.
Und zwar schnell.
»Nicht bewegen, Dad, bleib einfach ruhig sitzen«, sage ich und versuche mich zu erinnern, wie man in solchen Situationen reagieren muss.
»Was du redest? Ich nicht mich bewege. Ich nicht kann mich bewegen«, schreit er, wobei er über seine Brust reibt, als wolle er die Schmerzen wegmassieren.
»Jemand muss den Notarzt rufen«, sage ich, da mein Erinnerungsvermögen plötzlich wieder funktioniert.
»Die Notarst braucht su lange Seit«, kreischt Maroulla dazwischen. »Er wird sein tot, bevor Ambulans kommt.«
»Tja, uns bleibt wohl nichts anderes -«
George fällt mir ins Wort. »Ich weiß! Wir bringen ihn su Dino. Sind nur wenige Minute von hier bis su die Wohnung von Dino.«
»Ist sehr gute Idee. Heute Abend Dino ist su Hause. Dino macht, und alles wird sein gut«, stimmt Maroulla begeistert zu.
Ich bin ebenfalls einverstanden. Dazu muss ich erwähnen, dass einer unserer Nachbarn zwei Häuser weiter vor ein paar Monaten von der Leiter fiel und sich das Bein brach. Als der Notarzt endlich eintraf, war der Bruch praktisch verheilt.
»Gut, okay, wir nehmen euren Wagen, ja?«, sage ich zu George.
»Das nicht geht. Unsere Wagen ist voll mit Stoff ...«
Ich runzle die Stirn. Fährt er etwa mit Drogen durch die Gegend?
»... Muster aus meine Fabrik, weißt du.«
Ach so, Kleiderstoff. Oh Mann - jetzt ist garantiert nicht der richtige Zeitpunkt, um meine Ubersetzungskünste auf die Probe zu stellen.
»Gut, dann nehmen wir Dads Wagen«, sage ich und schnappe mir den Autoschlüssel auf der Anrichte. »George und Maroulla kommen mit, um mir den Weg zu zeigen. Mum, du bleibst besser hier, falls Emily nach Hause kommt.« Oh ja, ich habe jetzt die volle Verantwortung.
Die Fahrt von Wood Green nach Highgate legen wir in gerade einmal sechs Minuten zurück. Keine schlechte Leistung, zumal ich
Weitere Kostenlose Bücher