Extraleben - Trilogie
Darüber werde ich nachher nachdenken, jetzt erstmal genießen. Nach zwanzig Metern erreiche ich den Windschatten des ersten Gebäudes, und es wird totenstill. Nur das Knirschen der Steinchen unter meinen Füßen stört die Ruhe. Was ist das? Ich bleibe stehen, und höre noch einmal genau hin. Da, es ist immer noch da, ein ganz leises Pfeifen, so wie der Ton, der um zwei Uhr nachts aus dem Fernseher kam, als es noch einen Sendeschluss gab. Ein Generator vielleicht? Aber die Station ist doch längst abgeschaltet. Ich drehe mich um und versuche etwas zu erkennen. Sekundenlang raubt das grelle Gegenlicht die Sicht. Dann sehe ich, wie es langsam die Bergkuppe heraufkommt. Ich renne los.
LEVEL 35
Wenn die Drohne nicht wäre, könnte es immer noch ein perfekter Tag sein, der beste vielleicht seit vielen Jahren. Über dem Hubschrauberlandeplatz flimmert die Luft, und alle paar Minuten, wenn der Wind sich dreht und den Turbinenlärm wegtreibt, hört man die Blechwände der Baracken unter der ungewohnten Hitze knistern. Wie ein Kadaver in der Wüste liegt die Radarstation da: abgefressen, ausgeblichen und gleichzeitig friedlich, jedenfalls bis vor zehn Minuten. Seltsam. Ein halbes Leben lang haben Nick und ich am Feuerknopf gesessen, gejagt von Space Invaders, Blinky, Pinky , mutierten Space Marines oder was auch immer. Und genau genommen haben wir all die Jahre nichts anderes trainiert, als den Feind zu ignorieren, weil das der einzige Weg war, den nächsten Level zu schaffen. Wer einen Blick auf den Endboss verschwendete, statt nur an den nächsten Schuss oder Tritt zu denken, kam aus dem Flow und war im Prinzip schon ausgezählt. Für die Realität hat das Training nichts gebracht: Ich kaure hinter meinem Betonklotz und habe Angst, richtig Angst. Wie '91 auf dem Open Air in Schüttdorf, als der Asi sein Springmesser rausgeholt hat und ich weggerannt bin. Nur dass wegrennen hier nicht funktioniert. Links abzubiegen war eine schlechte Idee. Jetzt sitze ich in der Falle: Hinter mir geht es den Berg runter, und dahinter kommt bis Kangerlussuaq nur Gras, braun und platt wie der Aschenplatz unserer Schule. Runterzuklettern kommt nicht in Frage, da erwischt mich die Drohne sofort. Der Streifen da am Horizont - dass muss die Piste sein, an der mich Âke vorhin abgesetzt hat. Unerreichbar weit weg. Daneben kriechen zwei schwarze Punkte über die endlose Ebene, Moschusochsen wahrscheinlich. Von hier oben wirken sie wie Ameisen; wenigstens stimmt mein Sicherheitsabstand. Auf der anderen Seite sieht es besser aus. Diese kleinen Metallbrücken zwischen den Baracken könnten das Ding aufhalten. Aber wohin dann? Ganz hinten am Ende der Anlage glänzt was, ein alter Schuppen mit Solarzellen auf dem Dach, das heißt: neu gebaut. Plus, die Tür ist nicht mit Brettern vernagelt, anders als bei den anderen Baracken. Aber um da hinzukommen, muss ich quer über die große Straße, am Feind vorbei. Kalt ist es hier, im Schatten. Mein Cape liegt immer noch drüben bei den Antennen, genau wie die Wasserflasche, also außer Reichweite. Die Drohne summt jetzt wieder lauter. Zuerst dachte ich, das wäre ein Düsenjäger, der hier oben in der Tundra den Tiefflug übt, und hätte fast noch gewunken. Erst als das Ding schon an der ersten Baracke war, bin ich losgerannt, viel zu spät. Seltsam, selbst auf die paar Meter war nichts zu erkennen, außer einem Flimmern in der Luft. Ich kann Nicks Vortrag förmlich hören: »Chamäleon UAV - Unmanned Aerial Vehicle - mit Tarnvorrichtung, hat die Air Force längst.«
Als Verweigerer weiß er über Militärzeug natürlich bestens Bescheid. Unbemannter Aufklärer, gekapselte Rotoren, schwebt über dem Boden. Den Tarneffekt erzeugen Displays auf der Außenhaut, die von Rundumkameras gefüttert werden. Eine Art fliegender Monitor, der das anzeigt, was hinter der Drohne zu sehen wäre. Lässt die Drohne durchsichtig aussehen - wie den Predator -, solange sie sich nicht schnell bewegt. Nur der aufgewirbelte Staub verrät ihre Position. Gegenmaßnahmen, Nick? Und bitte schnell. Die Turbinen brüllen immer lauter. Jetzt steuert das UAV wahrscheinlich die große Gasse runter, auf mein Versteck zu, als ob es weiß, wo ich bin. Klar, Computerlogik, letzte registrierte Position des Ziels einnehmen. In ein paar Sekunden wird es um die Ecke rauschen, die Zeit läuft ab. Trotzdem kann ich nichts davon ernst nehmen. Es passt einfach nicht. Ein Angsthase, schon vorgemerkt für den Herzanfall im Seniorenstift - verschollen
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