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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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aufhält, und suche sorgfältig vor jedem Schritt den Boden ab. Vielleicht haben die ja Stolperdrähte gespannt oder Ammonium-Detektoren verteilt, wie in Iowa. Erst als ich unbehelligt vor dem Betonsockel einer der Antennen stehe, lässt die Anspannung ein bisschen nach. Ich stelle meine Wasserflasche ab. Unglaublich, dass die Antennen immer noch nicht umgefallen sich, so klapprig, wie sie aussehen. Auf der Rückseite stützt nur ein Stahlskelett die riesigen Schüsseln, das wild durcheinander verstrebt ist wie ein Hochspannungsmast. Die Antennenfläche selbst besteht aus glänzenden Metallplatten, die mit dicken Bolzen zusammengenietet sind und das Sonnenlicht so stark zurückwerfen, dass ich trotz Sonnenbrille die Augen zukneifen muss. Wie ein Tourist vor dem Kölner Dom staune ich zum Himmel hinauf, eine Hand in den Rücken gestützt, die andere als Schutz vorm Gesicht. Nach geheimer Hightech sieht die Funkanlage mit ihren dicken Nieten allerdings nicht aus, eher antiquiert, wie die Brücke von Kapitän Nemos Nautilus. Vielleicht dürfen Sachen hier oben in der Arktis einfach nicht zerbrechlich sein. Von der ganzen Elektronik jedenfalls ist nichts mehr zu sehen; entweder die Rückbauteams haben alles abmontiert oder die Leitungen verlaufen unterirdisch. Von der gigantischen Mikrowellen-Schleuder namens Dew-Line zeugen nur noch ein paar Kabelstränge, die über eine kleine Metallbrücke zu einer der Baracken führen. Anstatt unter den zusammengenieteten T-Trägern durchzugehen, mache ich lieber einen kleinen Bogen, um die Schuppen zu inspizieren. Schwer vorzustellen, dass hier mal jemand gelebt hat. Die Verschläge sehen aus wie diese Unterstände, in denen die Autobahnmeisterei Rollsplitt lagert. Klapprig, mit verbogenen Metallplanken verkleidet und matt grau angestrichen. Fenster gibt es an jeder Seite jeweils nur eines, aber die sind so hoch angebracht, dass man vom Boden aus nichts erkennen kann. Warum wächst hier nichts? Selbst in den windgeschützten Ecken der Baracken ist kein Grashalm zu sehen, nicht mal Flechten, nur Schotter. Haben sie den Boden so mit Gift vollgepumpt. oder ist es hier oben einfach nur zu kalt für Unkraut? Jedenfalls sehen die Gassen zwischen den Baracken wie ein frisch geharkter Zen-Garten aus. Überhaupt macht die Station für ein halbes Jahrhundert arktischer Winterstürme einen erstaunlich guten Eindruck. Hier und da blättert der graue Tarnanstrich zwar ab, in einer Antenne fehlen ein paar Segmente, und von einem Öltank hängen lange Rostbärte herunter; davon abgesehen wirkt alles so einsatzbereit, als könnten in zwei Minuten die Chinook-Helikopter, diese fliegenden Bananen, mit der Winterbesatzung einschweben. Selbst die weiße Landemarkierung zwischen den Baracken leuchtet so hell, als sei sie gerade erst aufgepinselt worden. Ah, endlich liegt mal was rum. Hinter einem der Verschläge schauen ein paar Ölfässer hervor. Es gibt nichts Cooleres als Ölfässer, da waren Nick und ich uns schon immer einig. Das ist wie mit dem Lufthansa-Atlas für die Geschäftsleute: Alles schreit »nichts für Kinder!« - und wird dadurch unermesslich interessant. Ölfässer sind der Inbegriff einer stillgelegten Fabrik, und damit des interessantesten Ortes, den sich ein Zehnjähriger vorstellen kann. Lupinen zwischen Backsteinmauern, ölverschmierte Maschinenteile oder - die Vollendung! - eine rostige Grubenbahn, Kein Wort kann diesen Sex fassen, schon gar nicht »lndustriebrache«.
    Natürlich ist man irgendwann groß genug, die Sache nüchtern zu sehen. Jeder weiß, dass Fabriken an sich langweilige Orte sind, wo Menschen Stechkarten in Automaten stecken und banale Dinge verrichten. Dem Nimbus tut das trotzdem keinen Abbruch. Wo ein altes Ölfass liegt, da gibt es ein Geheimnis. Langsam kommt der Puls runter, und ich schlendere zwischen den Baracken hindurch auf das Haupthaus in der Mitte der Station zu. Obendrauf sitzt die Radarkugel, so groß wie ein Heißluftballon, die mit ihren zahllosen dreieckigen Segmenten so aussieht, als habe sie ein wahnsinnig kluger Wissenschaftler erdacht. Endlich ist der verdammte Aufstieg vorbei, runter geht's bestimmt leichter - ganz sicher, Papa. Uhren-Check: Erst eins, für den Rückweg bleibt noch reichlich Zeit, das Rendezvous mit Âke wird kein Problem. Im Überschwang kicke ich ein paar Steinchen weg und gehe so breitbeinig wie Gary Cooper in »High Noon« auf der Gasse zwischen den Antennen entlang, immer meinem eigenen Schatten hinterher. Und was nun?

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