Extraleben - Trilogie
Prozent unserer Energie und die volle Rechnerpower des Brotkastens rein. Ich hatte mit viel Liebe ein Porträt von Tom Selleck gemalt, das wir damals für super getroffen hielten, das aber eigentlich keine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler hatte. Als wir letztens noch mal drüber gestolpert sind, fanden wir beide, dass Selleck wie ein Schwarzer drauf aussieht. Nick steuerte jedenfalls diverse Laufbänder bei, die ständig unsere Crackernamen durchnudelten, »Ziggy« für Nick, »Kee« für mich. Als echte Nostalgiker verwenden wir diese Namen noch heute überall, wo so kurze Log-in-Kürzel erlaubt sind. Es war das perfekte Intro, klopften wir uns gegenseitig auf die Schulter, ein Feuerwerk aus Formen, Farben und Bildschirmzuckeln - das würde Eindruck machen in der Community! Nachdem wir für den Startbildschirm ungefähr eine Woche gebraucht hatten, war nicht mehr viel Energie für das eigentliche Spiel übrig, und den ersten und einzigen Level kloppten wir an diesem Nachmittag unter der Weide zusammen. Das banale Gameplay stand schnell fest: Der Spieler sollte ein kleines Magnum-Männchen durch das Anwesen von Robin Masters steuern und dabei Higgybabys Dobermännern aus dem Weg gehen. Da wir alle Sprites hochauflösend gemacht hatten, war nachher für die Hintergrundgrafik kaum noch Speicher übrig, und Magnum und seine Verfolger bewegten sich vor einem Mosaik aus grauen und grünen Symbolen. Besonders schwer war das Game letztendlich auch nicht, da Nick aus Faulheit für beide Dobermänner den gleichen Patrouillierweg programmierte hatte; nach ein paar Minuten wusste man so, wie der Hund läuft, und konnte Magnum mit geschlossenen Augen durch den Garten lotsen. Spielte aber keine Rolle, denn die nächsten Level würden es schon richten; für die nahmen wir uns Großes vor, mit Flashback-Szenen aus Vietnam, Hubschraubern und natürlich noch was mit dem Ferrari. So ein kleiner Fahrsimulator zwischendurch, das wär's doch. Ich glaube, genau eine Hintergrundgrafik habe ich noch gemacht, dann schlief das Projekt ein, weil wir damit beschäftigt waren, jede freie Minute Beachhead II zu zocken. Aber als wir an diesem Nachmittag auf Nicks Terrasse schließlich fertig waren und das Game zum ersten Mal vom Intro bis zum atemberaubenden ersten Level durchspielen konnten, holte Nick sogar seine Mutter rüber, um ihr unser Werk vorzuführen. Sie lächelte etwas unsicher, wahrscheinlich, weil sie insgeheim dachte: »Ist der Magnum nicht ein Weißer?«
Egal, wir hatten geschafft, was sonst nur die Profis schafften. Zum ersten Mal war ein Spiel nicht nur Rohmaterial zum schnellen Durchzocken, Spriteklauen oder billige Tauschware für den Schulhof. Es war unser Spiel. Aussprechen wollte das natürlich keiner von uns, dafür hätte es viel zu lehrermäßig nach »selbst gemacht ist doch viel besser als der Kormmerzscheiß« geklungen. Trotzdem war da was: Stolz, mindestens genauso viel wie beim hundertfünfzigsten Highscore. Hätten wir das vielleicht weitermachen sollen? Ein Bekannter eines Bekannten hatte schließlich in seinem Keller den ersten Bundesliga Manager programmiert und war danach voll ins Spielebusiness eingestiegen. Wahrscheinlich spielten wir einfach zu gerne, um für die Belohnung eine Woche lang vorm Bildschirm zu sitzen; in die Community-Zeitschrift »64er« haben wir es mit Magnum jedenfalls nicht geschafft. Aber vielleicht gelingt mir ja heute der Sprung in das »Journal of Cold War Studies«, das Nick im Netz immer verschlingt? Der Höhepunkt meiner Forschungsreise zumindest scheint unweigerlich näher zu rücken: Aus der Ferne ist von Black Ridge II erst mal nur eine riesige Radarkuppel zu erkennen, ein weißer Ball mitten auf einem Felsplateau. Um sie herum stehen drei haushohe Autokino-Leinwände oder zumindest etwas, das so aussieht; Unterkünfte oder so lassen sich von hier unten noch nicht ausmachen. Vor lauter Vorfreude lege ich noch einen Schritt zu. Nach weiteren zehn Minuten ist es mit dem gemütlichen Schlendern vorbei: Der gefürchtete Teil, wo es bergauf geht, beginnt, und von einer Minute auf die andere verwandelt sich die liebliche Auenlandschaft in eine feindliche Steinwüste. Plötzlich tun sich zwischen den Hügeln kleine Schluchten auf und zwingen mich, so etwas wie Routenplanung einzuführen: ein paar Hundert Meter links am Fuß des Berges vorbei, dann dem weniger steilen Grat Richtung Gipfel folgen. Mit jedem Höhenmeter wird der Aufstieg steiler, brennen die nach zwei Wochen in Auto und
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