Extraleben - Trilogie
Tür hinter mir zu. Der Teppich dämpft das Knallen zu einem dumpfen Wupp ab. Keine Zeit zum Abschließen. lch fühle mich extrem schlecht angezogen.
»Ready«, quittiert der junge Mann mit einem leichten Wurde-auch- Zeit-Unterton. Wir rennen los, durch die immer noch offene Haustür raus auf die Straße und zum Wagen. Was für eine Enttäuschung: Ich hatte zumindest mit einem großen Benz gerechnet, einem Jaguar oder DeLorean. Aber was sich im Licht der Straßenlaterne da abzeichnet, sieht eher aus wie ein alter VW Passat, gekreuzt mit einem großen Alfa: eine Limousine im Design der späten Neunziger, eckig, unauffällig, langweilig. Seltsam, obwohl ich mich im heterosexuellen Mindestmaß für den Automarkt interessiere, könnte ich überhaupt nicht sagen, was das für eine Kiste ist, zumal Firmenembleme und Typenbezeichnungen abmontiert wurden. Nur das belgische Nummernschild am Heck des dunkelblauen Wagens funzelt durch das Zwielicht: AA - 23 Mein Chauffeur schwingt sich lässig hinters Steuerrad und hält mir die Beifahrertür auf. Ich steige ein. Okay, wahrscheinlich doch kein Passat, dazu fühlt sich das Leder des Sitzes zu weich an, so ein Alcantara gibt es in Wolfsburg nicht. Am Schloss des Handschuhfachs glitzert ein silberner Dreizack. Der junge Mann setzt so gewissenhaft wie bei der Fahrprüfung den Blinker, dreht sich kurz um und gibt Gas. Aus dem Motorraum grummelt es, dann macht der schwere Wagen einen Riesensatz nach vorne, und ein paar Sekunden später stehen wir auch schon an der Kreuzung zur Ausfallstraße. Definitiv kein Passat. Die Ampel springt auf Grün und wieder - zack - dieses Gefühl, als ob dich jemand auf dem Schulhof von hinten anschubst, nur eben sekundenlang. Ich muss grinsen. Mein junger Fahrer bleibt dagegen völlig unbeeindruckt: Zügig, aber ohne das Tempolimit um mehr als ein paar Stundenkilometer zu überschreiten, steuert er die Limousine durch den Speckgürtel der Stadt. Der McD-Drive-in, der BMW-Händler, drei Matratzenoutlets. Worauf haben die Leute in den Neunzigern nur geschlafen? Er scheint sich gut auf die Tour vorbereitet zu haben; ich bilde mir sogar ein, dass er die Ampelschaltungen kennt. Genau! Hier musst du Vollgas geben, sonst kommst du bei der nächsten Ampel nicht mehr bei Gelb rüber! Als ob er meine Gedanken hören könnte, gibt der Chauffeur Vollgas. Trotzdem quietschen die Reifen kein einziges Mal. Keine Frage, seine hochgegelten Haare müssen mal unter einem Integralhelm gesteckt haben.
»What kind of car is this?“, erkundige ich mich.
»Ninetynine ...«.
sagt der Junge, ohne den Blick von der Straße zu nehmen, und nuschelt etwas hinterher, das klingt, als ob ein Angelino seinen geliebten Parmigiano Reggiano bestellt. Der Versuchung, mir die sicher beeindruckende PS-Zahl des Wagens unter die Nase zu reiben, widersteht er - anders als wahrscheinlich die meisten seiner Altersgenossen in dieser Lage. An der letzten Ampel vor dem Verteilerkreisel greift er nach hinten auf die Rückbank und reicht mir wortlos einen Minirechner rüber. Wie bei allem, was von der Datacorp kommt, wurden auch hier sämtliche Eigenschaften gründlich entfernt: Kein Logo auf dem taschenbuchgroßen Gerät verrät den Hersteller, kein Startscreen das Betriebssystem eines bekannten Konzerns. Nachdem ich den Bildschirm berührt habe, startet sofort eine Art Nachrichtenprogramm, das ebenfalls keiner kommerziellen Software ähnelt. Mit den grünen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund sieht es eher aus wie ein altes Terminalprogramm. Die strenge Optik kommt ohne knuddelige Icons, 3D-Effekte oder Buttons aus; das Ding könnte genauso gut die Steuerung für eine Cruise Missile sein. Die Nachricht beginnt mit einer Zeile, in der alles großgeschrieben ist: PROJECT: PIPE DREAM - MISSION BRIEF Gerade als ich sie antippen will, erreichen wir die Passage auf der Flughafenautobahn, wo das Tempolimit aufgehoben ist. Mit unbewegter Mine tritt mein Chauffeur das Gaspedal voll durch, und obwohl wir schon 120 fahren, fühlt es sich an, als würde der Wagen noch mal aus dem Stand starten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die orange glimmende Tachonadel die 240er -Marke passiert. Mit 210 gibt sich der hier nicht zufrieden, haha. Bevor ich mit der nächsten Pflichtlektüre beginne, fahre ich das Beifahrerfenster ein Stück runter und lasse mir noch mal kurz die laue Nachtluft um die Nase wehen. Es riecht nach Grillkohle, Becks und Benzin - nach einem dieser Abende, an denen selbst Nick und ich unsere
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