Extraleben - Trilogie
Geekgrotten verlassen und uns darüber freuen, im T-Shirt auf dem Balkon sitzen zu können. Wir würden darüber reden, welche Filme wir schauen, wenn das Wetter wieder schlecht genug ist, um mit gutem Gewissen drinnen zu bleiben. Nick würde mit einer Info zur neuesten Tralala-Demo und dem soundso Emu aufwarten oder darüber philosophieren, mit welchem selbst gelöteten Kabel er seine 1541-Floppy an die allerneueste Rechnergeneration ranstöpseln kann; eine Wiederholung der Rods from God -Geschichte wäre natürlich auch möglich. Mir fiele mit Mühe und Not noch eine alte Arcade-Legende ein, zum Beispiel die von dem geheimen Schloss in Battlezone . Also: Wenn du mit deinem Panzer einfach immer weiterfährst, erreichst du irgendwann den großen Vulkan, den alle Welt eigentlich nur für eine Hintergrund-Deko hält. Und weißt da was: In dem Krater drin gibt es eine Burg, in der man wiederum herumkutschieren kann! Stimmt natürlich alles nicht, genauso wenig wie die Rads from God , aber spielt das im Ernst eine Rolle? Am Ende säßen wir einfach so da und würden auf den ersten Herbstwind warten. Es wäre ein verdammt schöner Abend. Vielleicht stimmt es, dass wir all die Jahre nur ununterbrochen auf die ganz große Escape-Taste gedrückt haben, aber keiner von uns würde jemals behaupten, dass es keine schöne Zeit war. Zum ersten Mal seit Grönland kommt mir der Gedanke, dass dieses Leben jetzt tatsächlich vorbei sein könnte. Habe ich die Tür zum Dorint vielleicht das letzte Mal zugezogen? Ist das der neue Alltag - in unauffälligen Limousinen durch die Nacht rasen, diskrete Memos überfliegen, altersdemente Rechner am Ende der Welt fixen? Die Dinge haben schon begonnen, sich zu verändern; am Schluss muss der Geschirrspüler eben doch auf den Schrott. Nur diesmal konnte ich vorher keinen Knopf abschrauben. Verdammt - wir sind in knapp zehn Minuten am Flughafen, dann wird das Chaos ausbrechen. Also zurück zum schwarzen Tablett und familiarizen, und zwar mit Vollgas. Schnell, schnell, die grünen Textblöcke nach den Schlüsselinfos scannen - oberflächlich Infos verdauen, endlich mal eine meiner Stärken. Operatives (UK/EU): undisclosed Add'tl O.: German Consultants, N.N. Weitere grüne Flächen rauschen vorbei, jede Zeile mit 40 Zeichen, genau wie beim Commodore PET. Target System:Robotron EC2640 Alles klar, keine Panik, ich bin ein Stückchen vom Haken. Der Robotron ist nichts anderes als der Nachbau eines IBM-Rechners aus der berühmten Bindestrichserie. wahrscheinlich eines /360, von denen habe ich zumindest schon was gehört. In den Sechzigern und Siebzigern konnte der Ostblock wegen irgendwelcher Embargos keine Computerausrüstung im Westen kaufen, und die DDR baute deshalb das damalige Spitzenmodell des kapitalistischen Erzfeindes einfach nach. Die Dokumente zum /360 habe ich mir kurz nach der Rückkehr aus Grönland durchgelesen - als ich noch wissbegierig war und jede Sekunde damit rechnete, in den Einsatz zu müssen. Da dürfte es keine Probleme geben mit dem Nachbau von drüben; zumal ich wahrscheinlich nur dabei bin, um ein paar deutsche Worte aus der Bedienungsanleitung zu übersetzen. Ich lehne mich zurück und scanne den Rest des Dossiers. Location: undisclosed, Airport: Bykovo (BKA) Klingt russisch. In den folgenden Textblöcken steht irgendwas davon, dass der Auftraggeber ein staatlicher Gasriese ist, der Probleme mit seinem Legacy-System vom kleinen sozialistischen Bruder hat. Was für Zicken der Mainframe genau macht, erklären sie nicht, überhaupt wimmelt das Dossier nur so vor vagen Angaben und Geheimhaltungsformeln wie »data suppressed due to confidentiality«.
Vielleicht haben sie mir wie üblich auch nur die Damenkarte gegeben, damit ich keinen Unsinn mit den Infos anstellen kann. Aus der Dunkelheit taucht die letzte Raststätte vor dem Flughafen auf, und mein Chauffeur steigt so heftig in die Eisen, als ob er weiß, dass da sonst immer der Radarwagen steht. Respekt, er hat sich gut vorbereitet. Um die Uhrzeit ist natürlich keine Kontrolle, und sobald das Tempolimit aufgehoben ist, geht es mit 280 Sachen weiter. Die paar anderen Autos auf der rechten Spur wirken bei dem Tempo, als hätten sie da geparkt. Sachen, was für ein herrliches Wort. Auf dem Schulhof hätten wir selbstverständlich »Stukis« gesagt, für »Stundenkilometer«.
Mit einem normalen Taxi sind es ab hier noch zehn Minuten, aber bei dem Tempo brauchen wir wahrscheinlich nur halb so lange. Ich bilde mir ein, schon
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