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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Marmorboden gespiegelt sehen sie aus wie die Raumschiffe in »Unheimliche Begegnungen der Dritten Art«.
    Damit es nicht zu sehr hallt, sind die Wände mit gelöcherten Schallschutzpaneelen aus hellem Holz zugeknallt. Eine Siebzigerjahre-Oase eben. Vor jedem Teilnehmer steht die Konferenzverpflegung nach DIN-Norm: ein Mineralwasser, eine Cola-die letzte in Westeuropa mit Zucker -, eine kleine Flasche Orangensaft von Granini, alles fein säuberlich auf kleinen Spitzendeckchen aus Papier arrangiert. Dazu spendiert uns der große Kongressdiktator ein Tellerchen mit Bahlsen Selection Gebäck, den Nick natürlich innerhalb weniger Minuten abgeräumt hat. Und wie üblich wird der Keksberg seiner Figur nicht schaden. Die Ernährung - das ist echt eines der wenigen Dinge, bei denen er noch ganz Student ist. Seinen Zuckerschock baut er gerade mit wildem Gehibbel auf dem Stahlrohr-Stuhl ab und sorgt so dafür, dass der auberginefarbige Bezug am Rand noch ein bisschen mehr abscheuert. Aber passt schon. Legacy heißt schließlich Erbe. Da ist es nur logisch, die Konferenz an einem Ort abzuhalten, der so aussieht wie eine Kreuzung zwischen Erichs Lampenladen und Caesar's Palace. Dabei geht es auf der LegaSys nicht um so ein Erbe, das jeder gerne hat, sondern um ein ungeliebtes Erbe: all jene alten Computer auf dieser Welt, die zwar reif fürs Museum sind - die aber mangels Geld niemand ersetzen kann. Wie sagen sie im Radio immer: das Schlimmste aus den Siebzigern, Achtzigern, Neunzigern und der Schrott von heute. Vor allem Bankenheinis turnen auf der LegaSys rum, und zwar aus gutem Grund, denn die haben die meisten Leichen im Keller: Da stehen noch reihenweise Mainframe-Dinosaurier rum, die auf Programmcode aus den frühen Achtzigern rumkauen. Und wenn diese Dinos müde werden, kann es sein, dass die Londoner Börse eben mal locker sieben Stunden am Stück nicht erreichbar ist, wie zuletzt im Herbst 2008. Doch solche Totalabstürze kommen eher selten vor. Meistens rückt die Datacorp, unser Arbeitgeber, schon vorher aus und überspielt die wichtigen Daten von einem alten auf ein neues System - Kundendaten, wissenschaftliche Auswertungen und so was. Immer reinspaziert. wir nehmen jedes Medium an, ganz egal, wie mausetot es sein mag. Vom Stapel unsortierter Lochkarten über Speichertapes bis zu Laserdiscs - wir retten alles ins neue Jahrtausend! Dass für das Überspielen manchmal Millionenbeträge fließen, ist ein offenes Geheimnis. Warum auch nicht? Für die Kunden ist die Rechnung ganz einfach: Alle Daten nochmal komplett neu zu beschaffen - wenn das überhaupt möglich ist -, würde viel mehr kosten als das Honorar der freundlichen und ach so diskreten Experten der Datacorp hinzublättern. Und wer nicht zu uns kommt, geht zur Konkurrenz von Big Blue oder Vintagetech in Livermore. Damit der ganze Schrott aus dem 20. Jahrhundert auch im 21. schön weiterfunzt, gibt es jedenfalls die LegaSys - die Fachmesse für Computerprofis von gestern. Und die Altvorderen im Saal C3 sind schon ziemlich aufgeregt, dass gleich Herr Irving zu ihnen sprechen wird. Fump, der Typ am Mischpult reißt den Mikrofon-Kanal auf, ein Raunen geht durch die Menge. Türen klappern. Dann verglüht das UFO an der Decke, bis nur noch die grünen Notausgangsschilder im Zwielicht tanzen. Dr. Irving tritt ans Rednerpult. besser gesagt: in den Strahl des Beamers. Der alte Mann merkt nicht, wie seine Schulter einen breiten Schatten auf die Leinwand wirft und seinen Namen bis auf das »ing« verschluckt.
    »Der Typ ist 'ne Legende. Kommt immer in letzter Sekunde, falls er überhaupt kommt«, flüstert Nick rüber.
    »Echt?«
    Wie eine Legende sieht er gar nicht aus. Eher spröde, wie Q, der Typ, der James Bond immer seine Gadgets verpasst hat. Die Uhr mit Laser, der Hubschrauber mit Laser und das Mini-U-Boot mit Laser - zum Kampf gegen Haie, die ihrerseits mit Lasern ausgerüstet sind. Irving biegt sich das Mikrofon runter und merkt dabei, dass sein Tweedsakkoes hat tatsächlich Lederflicken an den Ellenbogen-offen ist. Mit zittriger Hand schließt er die Hornknöpfe. Wie alt wird er sein? Sechzig? Siebzig? Schwer zu sagen. Mit seinem karierten Hemd im Landhausstil sieht er unfassbar englisch aus, nahe an der Karikatur. Der wahre Lord British. Und wären da nicht diese schulterlangen grauen Strähnen, die neben den Bügeln seiner Hornbrille hin-und herbaumeln. käme wahrscheinlich niemand auf die Idee, dass er einen Computerpionier vor sich hat. Dr. Irving räuspert

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