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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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sich und setzt an.

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    »Hello World.«
    Ein einsames Giggeln von hinten. Irving grinst - stolz über seinen eigenen Witz. Wie ein schüchterner Junge, der zum ersten Mal ein Mädchen anspricht. Dann ist sein Auftritt aber auch schon vorbei. Krach! Ein Stuhl fällt um. Jemand springt auf. Irvings Gesicht taucht aus dem Beamerstrahl ab und rast Richtung Boden, sein Körper hinterher. Er klappt zusammen wie so eine kleine Kinderfigur, wo man unten draufdrückt und das Holz-Hündchen auseinanderfällt. Fünfzig Kehlen ziehen erschrocken Luft ein. Einen unerträglich langen Moment herrscht Stille. Dann schlägt Irving auf dem Boden auf. Es ist ein dumpfes Krachen, das nach Hinterkopf auf Marmorboden oder Schlimmerem klingt. Der Beamer kann wieder ungehindert sein Bild an die Leinwand werfen.
    »Licht an!«, schreit einer von hinten.
    »Nun macht schon«, überschlägt sich die Stimme. Das Mikro-Babe stöckelt zum Schalter und wirkt auf einmal gar nicht mehr unnahbar und cool. Als das Licht angeht, ist von Irving nur noch ein Häufchen Tweed zu erkennen, das auf dem Boden der Bühne liegt und aus dem ein dürres, von blauen Adern durchzogenes Stückchen Wade in einem seltsamen Winkel herausragt. Den Rest verdecken die Rücken der Leute in der ersten Reihe. Nick zuckt nach vorne. Er war mal Zivi und fühlt sich in solchen Momenten immer noch ein bisschen zuständig.
    »Shit - der hat was am Herzen. Schrittmacher oder so.«
    Als er sieht, wie der Malteser-Typ durch den Mittelgang nach vorne hetzt, fällt er sofort auf seinen Stuhl zurück, heilfroh, dass er nicht für etwas verantwortlich sein muss. Vom Rest der Aktion kriegen wir kaum noch was mit. Alle schreien durcheinander, einige Leute springen auf und knallen prompt mit den Sanis zusammen, die überraschend schnell zur Stelle sind. Halt! Wenn man drüber nachdenkt, ist es doch nicht so überraschend, schließlich hat es der Veranstalter der LegaSys mit einem Haus voller Menschen zu tun, die als letztes Jovial gelernt haben, eine Programmiersprache, die in den Sechzigern für Kampfjets entwickelt wurde.
    »Sitzen bleiben. Verdammt noch mal, bleiben Sie sitzen!«, kreischt es von draußen rein. Genau das machen wir, obwohl wir weiß Gott gerne gehen würden. Man sollte meinen, dass einen Hunderte Folgen von »Emergency Room« abgehärtet haben, aber live ist das eine völlig andere Nummer. Für Nick natürlich nicht, der hat ja schon dutzendweise Leute sterben sehen, damals, bei seinem Job im Altersheim. Aber ich wäre jetzt gerne woanders. Keine Extreme, von diesem Motto wollte ich niemals abrücken. Wer Tod, Krankheit, Hunger und dem ganzen Scheiß möglichst lange aus dem Weg geht, bleibt jung. Punkt. Blöd nur, wenn der Panzer bröckelt. Auf einmal scheint alles weit weg zu sein: das Grün an den Bäumen, die schönen Häuser, sogar die Erinnerungen an die C64-Zeit, die Cevi-Ära. Ein netter Skin, hinter dem sich ein ziemlich hässlicher Default verbirgt. Und der läuft hier gerade ab. Medizinische Kommandos, beißendes Desinfektionsmittel. das brachiale Krachen, als die Trage aufgeklappt wird, auf die man den alten Mann jetzt verfrachtet. Aber es ist nicht mehr der nette Oldie Irving, sondern der Organismus Irving, eingeklemmt in einen Käfig aus Manschetten, Kanülen und Sensoren. Eine »bewusstlose Person in C3«, wie es aus einem Funkgerät krächzt. Von dem netten britischen Opa ist nur sein Tweedsakko übrig, das ihm ein Sanitäter am Ende der Helferhorde treu wie ein Hund hinterherträgt. Viele sehr lange Minuten vergehen, bis die Prozession endlich den Saal verlassen hat und die Störung im System behoben ist. Wir sitzen da und arbeiten mit Hochdruck daran, uns abzulenken. Nick ist aschfahl im Gesicht und hat diesen traurigen Blick in den Augen, bei dem ich mich immer frage, ob ein Mensch, der so guckt, nicht einen Tick zu gut für diese Welt ist. Tapfer schiebt er sich einen dieser Kekse mit Kokosstückehen in den Mund, die er sonst immer liegen lässt. Im Gegensatz zu mir weiß er, was da gerade eben medizinisch abgelaufen ist und wie die Chancen stehen, dass der alte Mann das überlebt hat. Wahrscheinlich schlecht. Kein schöner Gedanke, dass wir einem Menschen gerade beim Sterben zugesehen haben. Lieber schnell zur Seite schieben und ablenken. Wo ist überhaupt das Mikro-Babe hin? Weg. Schade. Insgeheim baue ich auf die Grundregel aller George-Romero- Filme: Sie sind nur tot, wenn du sie wirklich sterben siehst.
    »Tja«, sagt Nick mit leicht

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