Extraleben - Trilogie
schlafloser Westler rum. Nach seinen blauen Shorts und weißen Tennissocken zu urteilen, muss es ein Amerikaner sein; keine andere Nation der Welt zieht weiße Schlauchsocken wirklich bis in die Kniekehle hoch. Er stemmt mit seinen ziemlich dünnen Armen ein paar für ihn deutlich zu schwere Hanteln hoch, acht Mal auf jeder Seite, dann schlurrt er zum Wasserspender. Von oben aus der Sounddusche tröpfelt ein Lied von Spandau Ballet, das gerade laut genug ist, um das Wimmern des Laufbandes zu übertönen. Tony Hadley war schon ein Cooler; letztens im Fernsehen, da sah er aufgedunsen aus wie der späte Marlon Brando. Und Martin Frey von ABC tritt als Pausenclown bei der Wahl zur Miss Slowakei auf. Sind die dir erwachsen genug, Nick? Ein Glück, dass niemand weiß, was der Berger heute macht. Nachdem sich der Ami sehr bedächtig Wasser in seinen Plastikbecher nachgefüllt hat, greift er ein weiteres Mal zu den Hanteln, setzt sie aber gleich wieder ab und lehnt sich mit der Stirn an ein Gerät. Durch das Dreieck zwischen seinem Ober-und Unterarm hindurch ist sein Profil zu erkennen. Ganz vorsichtig bewegt er die Lippen zum Text, bedacht darauf, bloß keinen lauten Ton von sich zu geben. We made our love on wa-aste-land - and through the barricades Auf der Uhr hinter ihm kriecht der Stundenzeiger Richtung drei.
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Der erste Morgen in Kuala Lumpur beginnt mit Regen. Dicke Tropfen perlen an der Panzerglasscheibe runter, die unser Zimmer von vierzig Metern freiem Fall trennt. Es ist seltsam still, als ob jemand beim Fernseher auf Pause gedrückt hat. Dass draußen ein tropischer Sturm wütet, merkt man nur daran, dass der teuer bezahlte Panoramablick komplett verschwunden ist. Bis auf das hässliche DDR-Hochhaus direkt neben uns ertrinkt alles in 50-prozentigem Grau. Tristes Tropique - kein Wunder, dass die britischen Kolonialherren hier unten reihenweise ins Wasser gegangen sind. Der Kopf fühlt sich an, als hätte jemand von beiden Seiten ein dickes Kissen drangebunden ..Alles klingt dumpf, gefiltert. Die dritte Nacht ohne ordentlichen Schlaf, langsam fängt die kritische Zone an. In der Notfalltüte schlummert noch eine Packung Proviqil, natürlich unangebrochen. Bislang fehlte mir der Mut, die Wachmacher zu nehmen - wer weiß, wie der Nerdkörper darauf reagiert. Professionelle Videospieler werfen das Zeug ja angeblich ein, um konzentrierter zocken zu können. Rumms. Jetzt hört man doch was vom Gewitter, aber nur das Donnern. Die Fluten stürzen weiter lautlos am Fenster vorbei, das vom Boden bis zur Decke reicht. Bislang steht unsere Ignoranz-Mauer bombenfest: Wir wissen weder, welche Sprache hier gesprochen wird, noch, wie die Währung heißt oder wie viel sie wert ist. Der einzige Kontakt mit der Außenwelt sind die Präsente auf dem Schreibtisch: zwei Flaschen Wasser mit dem Logo des Hotels drauf, daneben eine Packung amerikanischer Kettle-Chips sowie Reiscracker aus lokaler Produktion. TOHO GARDEN steht drauf, in normalen westlichen Buchstaben. Immerhin verwirren die Malayen, falls sie so heißen, den Besucher nicht mit eigenen Schriftzeichen. Die Steckdose an der Wand sieht dreipolig wie die in England aus, gut, dafür haben wir einen Adapter. Aus dem rechten, vom Fenster natürlich ein gutes Stück entfernten Bett kommt ein Ächzen. Selbst der Beifahrer ist heute morgen anscheinend nicht in Topform. Anstatt - wie sonst nach dem Aufwachen - sofort aufzuspringen, wälzt er sich seit zehn Minuten von der einen auf die andere Seite. Schließlich dringt doch noch eine Meldung aus dem Kissenberg: »Energie, Mister La Forge!«
Ich setze mich zurück auf die Bettkante.
»Morgen.«
Dass meiner schon vor vier Stunden begonnen hat, braucht er nicht zu wissen. Wir sind hier schließlich nicht auf irgendeiner Jammertour. Nick hat das Kissen vor seinem Kopf weggenommen und starrt an die eingelassenen Halospots an der Decke. Als Hausbesitzer fragt er sich jetzt bestimmt, wie weit die Decke dafür abgehängt worden ist und ob das 12-Volt-Strahler sind. Das Zimmer ist im typischen Stil der frühen Nuller eingerichtet. Dunkelbraunes Holz an der Wand hinterm Bett, der weiße Waschtisch im Bad steht auf einer schwarzen Marmorplatte, die verchromten Wasserhähne gehen nach vorne auf, wie der Zapfhahn beim Bierfass. In ein paar Jahren werden sie wahrscheinlich das ganze Holz an den Wänden rausreißen, weil es total uncool geworden ist - wie Anfang der Achtziger, als die ganzen Eichenpaneele im Bundeskanzleramts-Stil und die
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