Extraleben - Trilogie
auch mal einen von ihnen gesichtet habe, passt ihm gar nicht. Deshalb mauert er erst mal: »Vielleicht hat der Typ was vergessen und musste nochmal zurück. Oder er arbeitet bei der Airline und hat überprüft, ob die Abreißlady auch wirklich alle Pässe überprüft.«
Manchmal benimmt er sich wirklich kindisch.
»Schwachsinn, der hatte eine Bordkarte dabei. Habe ich selbst gesehen, die hing aus seiner Tasche. Ich sag dir: Der wollte nur sichergehen, dass wir einsteigen und den Grid auch wirklich mitnehmen! Oder gucken, ob er uns ihn vorher irgendwie abknöpfen kann.«
Da ich im Grunde genommen zugebe, dass er mit seiner Theorie von ihnen Recht hatte, kann er seinen Antikurs natürlich nicht lange durchhalten. Und zack, schon lenkt er ein.
»Wie dem auch sei. Vielleicht glaubst du mir jetzt ja endlich, dass wir bei diesem Fall nicht die Einzigen sind, die ...«
Es folgen weitere Sätze, die unter der Überschrift SIEHSTE stehen. Während er sich noch beweihräuchert, schnalle ich mich nochmal ab, hole den Grid aus dem Gepäckfach und schiebe ihn unter meinen Sitz. Wer weiß. Arbeiten können wir mit der Kiste hier im Flugzeug ohnehin nicht - der Compass 1101 hat keinen Akku. Das dürfte in der Werbung schwierig zu verkaufen gewesen sein. Arbeiten Sie, wo und wann Sie wollen - Sternchentext, nur mit der Lupe zu erkennen: aber nicht weiter als 50 Zentimeter von der nächsten Steckdose entfernt. Nach und nach kommt Nick zum Ende: »... wir sollten das Teil jedenfalls nicht mehr aus den Augen lassen. Selbst dir dürfte ja wohl jetzt klar sein, dass wir keine Sekunde mehr unbeobachtet sind.«
Manchmal ist er wirklich schwer zu ertragen. Die Stewardess dimmt die Kabinenbeleuchtung runter, damit der Bildschirm an der Decke besser zu erkennen ist, über den die Weltkarte flimmert. Immer wieder malt der 386er den roten Bogen von der Mitte nach ganz rechts, von Europa nach Asien. Ein weiteres Legacy-System, das brav seinen Dienst tut; hoffentlich ist es das einzige an Bord. Sechstausend Meilen, fünfzehn Stunden, ein Zwischenstopp. Wir heben in der Dämmerung ab, dann rast am Fenster im Zeitraffer ein Tag vorbei, und wenn wir in Kuala Lumpur unser Gepäck holen, geht auch schon fast die Sonne wieder unter. Vor uns liegt ein verdammt langer, dunkler Tunnel. Das lästige Warten darauf. dass die Maschine von der Parkposition weggeschoben wird, beginnt. Der schneidige Captain, dessen Bariton fast bis in Barry-White-Sphären runterreicht. hat schon bei seiner Klarmacher-Ansage durchblicken lassen, dass es noch ein bisschen dauern kann. Es sei »noch einiger Verkehr vor uns«.
Eines Tages, wenn wir wirklich gar nichts mehr zu verlieren haben, werden wir uns einen Edding krallen, zur Cockpit-Tür schleichen und vor CREW ONLY ein kleines S kritzeln. Nachdem wir gierig die Gratis-Minitüte Salzbrezeln runtergeschlungen und mit dem Gratis-Tomatensaft nachgespült haben, bricht Stille aus. Sie ist von der unangenehmen Sorte, wie wenn man mit entfernten Verwandten in einem Zugabteil eingesperrt ist. Wenn wir erst mal ein paar Tage unterwegs sind, wird sich das gottseidank legen, dann ist Stille der Default. Jetzt allerdings muss irgendwie noch Konversation getrieben werden.
»Sag mal, warum benutzt Irving eigentlich so einen alten Hobel? Der hätte doch sicher genug Geld, um sich einen modernen Rechner zu leisten«, frage ich an. Nick fischt mit dem kleinen Finger ein paar letzte Salzkrümel aus der Packung. Schmatz.
»Sicherheit durch Seltenheit.«
Schmatz.
»Heißt?«
»Siehst du doch: Dadurch, dass er so eine antike Kiste wie den Grid benutzt, kommt keiner an seine Daten ran. Selbst wir - die Profis, haha - haben ewig gebraucht. Daran kannste sehen, was ultimative Sicherheit ist - auf einem Rechner zu arbeiten, der so alt ist, dass ihn niemand mehr kennt.«
Stimmt. Diese Taktik wenden ja angeblich mehr Leute an, als man denkt. So kursieren immer wieder Gerüchte, dass das britische Verteidigungsministerium auf seinen Servern angestaubte Betriebssysteme wie Mac OS 9 oder frühe Versionen von Sun Solaris laufen lässt. Ein genialer Schachzug, schließlich reichen für das einfache Netzzeug die alten Systeme locker aus. Plus: Die meisten Skript-Kiddies haben von diesen IT-Antiquitäten noch nie was gehört und werden sich nicht die Mühe machen, ein Einbruchstool für ein System zu schreiben, dass weltweit vielleicht noch ein paar hundert Mal am Netz hängt. Retrotech gleich billige Sicherheit eben.
»Das heißt, wenn man
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