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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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hängen immer noch dunkelgraue Gewitterwolken in die obersten Stockwerke rein. Quälend langsam kämpft sich das Taxi durch den Berufsverkehr. Motorroller schießen wie Mücken an unseren Köpfen vorbei und stürzen sich in jede Lücke, die die Toyotas, Hyundais und SsangYong-Geländewagen den lebensmüden Fahrern lassen. Der Lärm der Zweitakter dröhnt so laut durch die Ritzen des klapprigen Taxis, dass man das Gefühl hat, der Wagen hätte gar keine Türen. Um es uns ein bisschen netter zu machen, hat der Fahrer koreanische Boyband-Sülze aufgelegt. Melodie D Amour steht auf der CD-Hülle, die zwischen einem Handy und irgendwe1chen Gebetsbändern neben der Handbremse vor sich hinklappert. Auf dem Cover sitzt der junge Sänger sehr intensiv vor einer Backsteinwand. Bandfotos vor Backsteinwand sollten von der UNO geächtet werden. Genau wie abgehalfterte Musiker, die in Interviews behaupten, die »großen Stadien« satt zu sein und lieber »in kleinen Clubs« spielen zu wollen. Major Tom hat sich mit seinen weiteren Anweisungen ziemlich viel Zeit gelassen. Während wir gerade ins Taxi steigen, kommt seine Nachricht mit den genauen Zielkoordinaten auf dem Dienstrechner an. Wir sagen die Adresse nach vorne durch. Nach dem Gesichtsausdruck des Fahrers zu urteilen, hat Irving seine Emeritenhütte nicht gerade in der besten Gegend von KL aufgeschlagen. Jedenfalls ließ sich der Inder die Adresse zweimal ansagen, und langsam wird uns auch klar, warum. Türkische Riviera, circa 1985. Ziemlich genau so sieht Kuala Lumpur da aus, wo die Schatten der Petronas Towers nicht mehr hinreichen. Antalya, Kerner, mit einem Schuss Benidorm vielleicht. Das Taxi rattert über eine breite Straße, die auf beiden Seiten von halbhohen, unverputzten Betonklötzen eingekeilt ist. Die Ladenbesitzer haben bis zum zweiten Stock jeden freien Zentimeter mit Werbung zugehauen, wie bei einem Formel-1-Rennwagen. RESTORAN OKAY, SEVENELEVEN-BUK A 24 JAM, POLIKLINIK LOURDES schreit es von den Balkons runter. Auf manchen Schildern stehen chinesische, auf anderen arabische Schriftzeichen. Davon abgesehen scheint Kuala Lumpur vor allem aus Klimaanlagen zu bestehen; in jedem Fenster schaufelt mindestens ein graues Aggregat die Luft rein, wobei der Trend ganz klar zur Zweit-Klimaanlage geht. Wir fahren unter einer Betonbrücke durch, über die gerade eine blaue Einschienenbahn fährt. Hurra, Monorail! Genau so haben wir uns die Zukunft immer vorgestellt, als wir damals im Freizeitpark mit der Einschienenbahn an pneumatisch zuckenden Papp-Dirtos vorbeigezuckelt sind. Das muss das Verkehrsmittel der Zukunft sein - wenn man nicht gerade mit dem Raketenrucksack unterwegs ist.

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    Kein Wunder, dass der Taxifahrer Nick misstrauisch anguckt, als der die Spesen-Kreditkarte nach vorne reicht. Die Gegend, in die uns Major Tom geschickt hat, ist echt übel. Erst kamen die Büroparks, das ging noch, dann zogen kleine Fabriken vorbei, auch okay, doch jetzt sind wir in etwas angekommen, das man wohl einen Slum nennt: abbruchreife Wohnblocks entlang einer Schlaglochpiste, jedes in einen Kokon aus über Putz verlegten Telefon-und Stromkabeln eingehüllt. Dazwischen immer wieder brachliegende Grundstücke und kleine Wellblechhütten. Kuala Lumpur wächst nicht, Kuala Lumpur wuchert. Und wir sind bei einem ziemlich üblen Geschwür angekommen. MYR steht neben dem Betrag auf dem Thermoausdruck, der aus dem Buchungsgerät surrt. So heißt wohl also die Währung, malayische Rupien vielleicht? Ich schubse Nick so auffällig an, dass er nicht anders kann, als dem Fahrer noch ein paar MYR Trinkgeld einzutragen, denn hier draußen findet der garantiert keine Rücktour in die City. Der Beifahrer ist nämlich sogar mit dem Geld anderer Leute knickrig. Wir bedanken uns artig und steigen aus. Nach einer halben Stunde in dem fahrenden Kühlschrank trifft uns die Hitze wie ein Faustschlag ins Gesicht - oder zumindest so, wie man sich einen Faustschlag ins Gesicht vorstellt. Die Luft rinnt zähflüssig wie Honig die Bronchien runter, jeder Atemzug wird zur Arbeit. Es riecht nach Abgasen, nassem Asphalt und Kloake. Noch bevor wir uns richtig umgesehen haben, sprießt auf Nicks hellblauem T-Shirt der erste dunkelblaue Fleck am Rücken. Der Gestank kommt von rechts: Zwanzig Meter neben der Straße, hinter einem kleinen Streifen aus Gestrüpp und Bauschutt, liegt ein Kanal, in dem sich braune Brühe Richtung Meer quält. Am anderen Ufer fängt der Dschungel an, der von hier bis nach

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