Extraleben - Trilogie
ersten Zeilen des Abspanns hochkriechen.«
»Dazu fährt die Kamera hoch unter die Betonkuppel. dann Zoom raus, bis wir nur noch aussehen wie zwei Ameisen auf einem leeren Bürgersteig.«
Das ist genau das Zeug, von dem der Beifahrer nicht genug kriegen kann.
»Ach ja, der Regisseur dankt folgenden Firmen und Organisationen: IBM, der Gemeinde von Batum/Washington ...«
»... und natürlich dem Strategic Air Command für die Nutzung der beeindruckenden Kulissen«, loche ich ein. Großer Lacherfolg. Mit jedem Schritt werden die Füße ein bisschen leichter. Es geht heim, und da wird alles ganz anders sein als vor unserer Abfahrt. Was sich wohl in den letzten paar Tagen getan hat im Dorint? Wahrscheinlich sind wieder neue Studis nebenan oder unten eingezogen, weil einer der Mieter sein Examen gemacht hat. Neue Liebe-Nachbarn-heute-Abend-kann-es-etwas-Iauter-werden-Partywarnungen an der Pinnwand im Flur. Vielleicht ist es wirklich langsam Zeit, da auszuziehen. Als wir bei der Druckschleuse sind, joggen wir schon fast, und Nick schlängelt sich leichtsinnig schnell durch die Öffnung.
»Sieht aus wie bei Das Boot«, ruft er zu mir nach hinten. Zeit für das unvermeidliche Pennäler-Zitat.
»Anblasen, Herr Kaleu!«
Für Nick reicht er. Er schmeißt sich weg, als ob er wieder zwölf wäre.
»Geht doch nichts über einen schönen, langsamen ...«
»Nachmittagsf...«
Lachend traben wir den Endlos-Gang runter. Irgendwie stinkt es auch nur noch halb so schlimm.
»Also, das mit dem Kind - das ist ja echt toll«, stelle ich nochmal klar.
»Ist ja gut. Können wir jetzt wieder über was Normales reden?«, schreit der Beifahrer zurück, »dieses Babygequatsche nervt ja jetzt schon. Kind hier, Kind da!«
Nein, es ist wirklich toll. Aber wie er schon sagt: Es gibt noch viel Zeit, um darüber zu reden. In einem anderen Leben, wenn wir wieder zuhause sind. Abbremsen, rein ins Treppenhaus. Erster Absatz, zweiter Absatz. Nick hechtet die Treppen rauf, als ob er es geradezu drauf anlegt, mit der Diskette hinzufallen. Vielleicht hätte ich doch lieber das Teil nehmen sollen.
»Willst du mit der Floppy hier aufwischen?«, brülle ich hoch.
»Und wenn schon«, schreit der Beifahrer, so laut, dass sich seine Stimme überschlägt. Krach, die schwere Edelstahltür fliegt auf, die Sonne brennt rein. Wir sind endlich wieder raus aus Vaters Höhle. Jetzt bloß nicht nachlassen.
»Wer zuerst am Auto ist, muss das Schleusenbier heute Abend zahlen«, schlage ich vor.
»Ock«, keucht Nick. Das eingebildete Minenfeld ist gottseidank verschwunden. Nachdem wir gesehen haben, wie nachlässig Irving mit seinen wertvollen Datenschätzen umgeht, trauen wir ihm so etwas nicht mehr zu. Wir rennen einfach quer über den Schotterplatz, den kürzesten Weg zum Haupttor. Nick baut sogar einen kleinen Schlenker ein, um übermütig eines der Markierungshölzchen aus dem Boden zu treten. Punk!
»Wenn der Film so richtig abgeschmackt ist, teilt sich am Schluss das Bild auf«, hechelt Nick, »rechts läuft der Abspann weiter und links kommen ein paar Patzer von den Dreharbeiten.«
»Klarer Kandidat: Zwei Jungs krepeln rum, um betrunken zwei Nachttische vor eine Hoteltür zu schieben.«
Und so geht es weiter. Nick macht einen Witz, ich versuche ihn zu überbieten, scheitere, fange ein neues Match an. Wir lachen und rennen, als ob wir schon auf den letzten zehn Metern vor unserer Haustür wären. Nur eines machen wir nicht: nach vorne gucken. Sonst hätten wir ihn sicher viel früher gesehen - diesen kleinen grauen Punkt vor dem bordeauxroten Punkt unseres Rentnermobils.
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Zwei Schritte einatmen, zwei ausatmen, immer schön aus dem Mund, sonst gibt's Seitenstiche. Genau wie es uns Linder damals eingepaukt hat. Linder der Schinder, dieser verdammte Sportnazi. Hat uns alle immer seine »Knochen« genannt und erst aufgegeben, nachdem er alle zerbrochen hatte, selbst die härtesten Knochen. Wenn er dir Hilfestellung gab, am gehassten Stufenbarren, und ganz nah rankam, konntest du seine Fahne riechen. Und ständig angegeben hat er, zum Beispiel damit, wie sehr er seine Frau gestern Abend wieder »genommen« hätte. War damals so alt wie wir heute, an diesem bitteren Punkt angekommen, an dem man merkt, dass Erfahrung immer gegen Energie verliert. Zwei Schritte ein, zwei Schritte aus. Fuck, wie soll das funktionieren? Die Luft reicht nicht mal für einen Schritt. Wir rennen, schneller als jemals in unserem kleinen Leben. Bundesjugendspiele. Das einzige
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