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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Wenn ich wirklich zu den Cops rennen will, muss ich was in der Hand haben.

#13 T-7: 02:27
    Bis zur Schwallmauer habe ich durchgehalten. Das ist die Grenze im Fernsehprogramm, wenn die Werbung für Bauch-weg-Maschinen aufhört und das Happy-Geplauder vom Frühstücksfernsehen anfängt. Dann weißt du: Jetzt sitzen wieder Menschen vor der Glotze, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen - also nicht solche Slacker, wie wir es jahrelang waren. Irgendwann, kurz bevor die Grinsbirnen ihren Gute-Laune-Terror starten konnten, muss ich eingeschlafen sein. Jetzt ist es zehn, und jemand bearbeitet meine Schläfen von innen mit einem Hammer - nein: mit einem Bolzenschussgerät. Das ist wirklich kein Land für alte Männer. Selbst nach dem dritten Kaffee hören die Kopfschmerzen nicht auf. Was jetzt? Über die Kamera, die Nick gefilmt hatte, war nichts rauszukriegen; im Quelltext der Seite stand nur der übliche technische Kram, Modell, Firmware-Version und so weiter. Die Kamera hängt irgendwo in einem Datacorp-Büro auf diesem Planeten und es gibt keine Chance, raus zukriegen, wo. Auf Sendung ist sie auch nicht mehr gegangen, ich habe einen zweiten Rechner oben auf die Glotze gestellt, der ständig den Kanal abruft. Alles schwarz, das Licht in Nicks Zelle ist immer noch aus. Die Videoanalyse hat nichts gebracht. Selbst nach dem hundertsten Mal durchnudeln in Superzeitlupe haben die zuckelnden Bildzeilen nicht ihr Geheimnis preisgegeben. Ich hatte gehofft, dass der Clip im nüchternen Licht des Tages weniger bedrückend wirken würde, doch das Gegenteil ist passiert: Je häufiger ich den Ausdruck in Nicks Gesicht sehe, wie er das anblickt, was unterhalb der Kamera im Raum war, desto kälter wird mir. Die Bullen anzurufen ist von einer wirren Kurzschlussreaktion zu einer ernsthaften Möglichkeit geworden. Vielleicht sollte ich zuerst Sabina anrufen, mit ihr alles durchsprechen? Nein, sie weiß über die Company noch weniger als ich, und womöglich gibt sie mir noch die Schuld, weil ich Nick seinerzeit zu dem Schwachsinnstrip nach Iowa überredet hatte, mit dem alles anfing. Doch keine so gute Idee, Sabina einzuweihen, und wenn am Schluss alles nur Spinnerei war, habe ich sie umsonst kirre gemacht. Ein echter Mann hätte wahrscheinlich längst eine Entscheidung getroffen - alles oder nichts. Als Tastaturtäter geht das nicht so einfach. Vor allem, weil sich mein Kopf über Nacht noch ein kleines, neues Hintertürchen gezimmert hat: Was ist nämlich, wenn im Video einfach nur deshalb das Licht ausgeknipst wurde, weil Nick Feierabend gemacht hat, weil er mit dem Job fertig war? Das würde bedeuten er sitzt noch in Deutschland, vielleicht sogar ganz in der Nähe. Heute kracht's bestimmt noch. Man kann schon sehen, wie sich drüben im Westen, über Nicks altem Land, die Gewitterwolken auftürmen. Die Luft fühlt sich schon so an, als würde man einen Geschirrspüler am Ende des Programms aufmachen und das Gesicht direkt davorhalten. Feucht wie mittags in Kuala Lumpur, kurz bevor das tägliche Gewitter runtergeht. Die ersten Leute packen schon ihren Kram zusammen und flüchten aus dem Biergarten.
    »Wär's das dann für Sie?«
    Gelangweilt stochert die Schülerin mit dem Eingabestift auf ihrem Bestellcomputer rum. Darüber, dass sie mich siezt, mache ich mir schon seit Jahren keine Gedanken mehr, eher darüber, wie lange der Schmand schon in einem Plastikeimer vor sich hingegoren hat, bevor ihn ein weiterer suizidgefährdeter Emo-Schüler auf meine Folienkartoffel knallen musste. Warum jammern Senioren ständig über Einsamkeit im Alter? Zumindest hat man einen neuen Begleiter an seiner Seite: die Angst - vor allem und jedem, zum Beispiel vor Salmonellen.
    »Ja, danke«, sage ich brav. Die schwarzhaarige Göre rollt - warum auch immer - mit ihren Augen, die von Mauern aus Kajal umrandet sind, und stakst in ihrer aschgrauen Röhrenjeans Richtung Küche. Eine Böe zischt durch den leeren Biergarten und wirbelt eine Wolke aus zerbröseltem Laub und gelben Pollen auf. Die Sturmfront rückt an, hoffentlich reicht die Zeit noch zum Essen. Weiter im Dorint hocken ging nicht mehr. Ich musste raus, weg von den Bildschirmen, einfach den Kopf freibekommen. Doch es fällt schwer, einen neuen Blickwinkel auf etwas zu kriegen, wenn man an der gleichen Stelle wie im ersten Semester sitzt. Okay, die große Platane haben sie zwischendurch mal beschnitten, damit die Äste nicht zu schwer werden und den Gästen auf den Kopf knallen. Aber selbst das ist

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