Extraleben - Trilogie
nicht sein. Doch es kann: Die Studis oben haben die Titelmusik von »Baywatch« reingeworfen -und was viel schlimmer ist, sie gehen total drauf ab! Vielleicht hat Nick doch recht, und mit der Jugend stimmt was nicht. Immerhin ein Höhepunkt am heutigen Abend. Das Cam-Surfen dagegen lässt sich ziemlich lahm an. Ich habe ein kleines Skript zusammengezimmert, das alle Überwachungskameras im Firmennetz lokalisiert und mir ein Livebild dreißig Sekunden lang anzeigt. Dann spürt es die nächste Cam auf. Anstelle aufregender Schlüsselloch-Blicke produziert das Programm leider ohne Ende Langeweile im Format 800 mal 600 Pixel. Unser Arbeitgeber logiert viel unexotischer, als wir angenommen hatten. Ein stinknormaler -und obendrein leerer -Büroflur reiht sich an den nächsten, gefolgt von Parkplätzen, Tiefgaragen und weiteren Bürofluren. Wo das Gebäude steht, in dem die jeweilige Kamera installiert ist, lässt sich - wenn überhaupt - nur an Kleinigkeiten erkennen: Sind die Kannen in der Kaffeemaschine oben abgerundet? In diesem Fall ist es ein amerikanisches Modell, wahrscheinlich von Mr. Coffee oder Kitchen Aid. Die Kannen in Deutschland von Severin und Krups sind eher eckig-bauhausmäßig. Dann gibt es noch die Türöffner: In Amerika ist es meist ein Knauf zum Drehen, in Deutschland standardmäßig die Klinke. Aber am leichtesten lässt sich der Ort natürlich rausfinden, wenn ein Lichtschalter zu sehen ist. Die amerikanischen Modelle mit diesem kleinen, zierlichen Schalter kann man selbst bei kleiner Auflösung gut von den massiven deutschen unterscheiden. Wenn eine Parkgarage zu sehen ist, wird die Sache völlig banal. Da erkennt man immer ganz gut, ob die Kamera auf amerikanischen Boden gerichtet ist oder nicht. Obwohl selbst das schwieriger geworden ist, schließlich haben auch drüben die gesichtslosen Mobilitätsautomaten, die Toyota Camrys und Ford Focus, die Macht übernommen. Straßenkreuzer gibt's in Amiland schon lange nicht mehr, was einerseits natürlich schade ist. Andererseits ließe sich argumentieren, dass man nicht die Hälfte der freien Welt dazu zwingen kann, für immer und ewig auf einem ökologischen Abenteuerspielplatz zu leben, nur damit man sich als deutscher Autoromantiker an gigantischen Blechmonstern erfreuen kann. Unsere Vermutung, dass die Datacorp kleidungsmäßig gleichgeschaltet ist, scheint übrigens zu stimmen. Keiner der Typen auf den Videobildern trägt eine Krawatte, sondern alle hetzen mit Hemden und Flanellhose zwischen den Büroboxen hin und her. Frauen sieht man so gut wie keine. Niemand rebelliert gegen diesen Preppy-Dresscode, nicht mal ein Administrator mit T-Shirt oder so fällt aus dem Rahmen. Wie immer bei der Datacorp gilt: Alles ist so unauffällig, dass es fast wieder auffällig ist. Ich muss kurz vom Bildschirm weggucken, weil die Augen anfangen zu brennen. Über dem Dach des Altenwohnheims schwebt gerade eine letzte Maschine Richtung Flughafen. Ihre Landescheinwerfer bohren sich in den Dunst der Sommernacht, die Landeklappen fahren mit einem lauten Pfeifen aus. Das bedeutet, es ist gleich elf. Nach diesem Flugzeug wird die Nabelschnur zur Welt gekappt und die kleine Stadt in Deutschland darf wieder das tun, was sie am besten kann -schlafen. Die Studi-Grillwolke hat sich mittlerweile verzogen, jetzt weht eine klare Brise durch die verzinkten Gitter des Balkons. In einer halben Stunde muss die Entscheidung fallen: entweder das Kapuzensweatshirt von der University of California anziehen, das ich in akademischem Überschwang angeschafft habe, oder reingehen. Auf dem Bildschirm laufen weiter nur triste Büroflure durch. Ich genieße den Bodensatz des letzten Corona für heute und schaue an den Tautropfen vorbei in den Nachthimmel, über den sich die Milchstraße wie ein Brautschleier zieht. Wieder mal fällt es leicht, zu erraten, was der Beifahrer in diesem Moment sagen würde.
»Alter, die Wahrheit ist da draußen. Wirklich.«
Das Extraterrestrische ist auf seiner Agenda in letzter Zeit wieder mächtig nach oben gerutscht. Wenn man fies wäre, könnte man sagen: Seit er Vater ist, scheint für ihn die Idee vom Leben auf einem fremden Planeten an Attraktivität gewonnen zu haben. Aber das ist unfair, denn eigentlich war er zeitlebens totaler Ufo-Freak. Yes, Mr. Bowie, he's loving the alien! Irgendwann in der ersten oder zweiten Klasse fing das an. Da hatte Nick Mumps, und der Apotheker gab seiner Mom so ein »Junior«-Heftchen mit. Auf dem Titel flog ein Ufo in
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