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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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haben. Vor unseren Scheinwerfern verzieht sich langsam der Staub, den der Amokfahrer bei seinem Ausritt auf den Seitenstreifen aufgewirbelt hat. Das Heulen der Sirenen klingt aus. Ein halbes Dutzend Hütchen liegt quer über den Highway verstreut, das Stoppschild wackelt leicht im Abendwind. So, wie es aussieht, sind wir - als letztes Auto in der Schlange - jetzt die Polizeikontrolle. Nicks Mund steht offen. Ich tippe ihn an der Schulter an.
    »Alter?«
    Er zuckt zusammen, als ob man ihn aus dem Halbschlaf geweckt hätte.
    »Was in aller Welt war das?«
    »Der, äh, da ist einer einfach an der Kontrolle vorbeigefahren«, stottert Nick. Er fuchtelt mit den Händen unkoordiniert rum, als wollte er zeigen, wie wild der Wagen unterwegs war.
    »Einfach so, ein weißer Ford Bronco, oder?«
    Ausnahmsweise scheint sogar der Nickmeister an die Grenze seiner optischen Aufnahmefähigkeit gekommen zu sein. Er starrt immer noch ungläubig nach draußen. Gelobt seist du, namenloser Besoffski, der du uns hast den Arsch gerettet! Hinter uns kommt Unruhe auf. Ein Auto wird angelassen, jemand lacht, ein Radio dudelt. Ich drehe mich um. Ein paar Fahrer sind ausgestiegen und unterhalten sich, andere kurbeln schon wild an den Lenkrädern, um auszuscheren.
    »Hast du 'ne Ahnung, was wir jetzt machen sollen?«
    Nick zuckt mit den Schultern.
    »Nö. Ich kenn da die amerikanischen Gesetze nicht so genau: Muss man jetzt warten, bis die Cops einen Vertreter schicken, der uns kontrolliert? Ich, äh ... «
    Da er noch nicht auf dem Planeten Erde angekommen ist, muss ich wohl den nächsten Zug machen.
    »Bullshit. Wir fahren jetzt weiter.«
    Da der Beifahrer nicht protestiert, fasse ich den Zündschlüssel an und drehe ihn so vorsichtig rum, als wäre er ein CMOS-Chip und ich hätte gerade auf einem Kunststoffteppich den Atari-Shuffle getanzt. Gangschaltung auf D, langsam anrollen lassen, Rückspiegelblick. Gott sei Dank, der Typ hinter mir fährt auch an. Selbst wenn wir das Gesetz brechen, sind wir zumindest nicht die einzigen. Es ist die klassische deutsche Rechtfertigung -und sie wirkt. Während wir hinaus in die Dunkelheit gleiten, löst sich die Kolonne hinter uns langsam auf. Vorsichtig, als säße der Fahrprüfer auf der Rückbank, tasten sich alle am Mittelstreifen entlang durch die Dämmerung. Schnell schrumpfen die Scheinwerfer im Rückspiegel und es fühlt sich fast an, als wären wir wieder alleine auf dem Highway. Von den Bullen sind in der Ferne nur noch die Blaulichter zu sehen, ein schwaches rotblaues Glimmen, wie ein weit entferntes Feuerwerk.

#31 T-3: 07:13
    Wenn es darum geht, das eigene Leben so zu inszenieren, dass es genauso aussieht wie in einem der B-Filme aus Hollywood, die wir jahrelang verschlungen haben, entwickelt der Beifahrer fast übermenschliche Kräfte. Vor allem, sobald Alkohol im Spiel ist, kennt seine Inszenierungswut keine Grenzen.
    »Alter: Wir. Müssen. Da. Rauf.«
    Das waren seine Worte, und er hat sie mir zusammen mit seiner kapitalen Fahne ins Gesicht gepustet. Also mussten wir da rauf - auf das Riesen-Werbeplakat neben der Straße. Denn nur dort oben würden wir unsere Bestimmung erfüllen. Nur dort würden wir uns in Harley Davidson und den Marlboro Man verwandeln. Die hocken nämlich in dem gleichnamigen Film auch auf so 'nem Riesenteil und sehen verdammt cool dabei aus. So weit der Plan. Ihn zu verwirklichen hat uns gut zwanzig Minuten, ein weiteres Sixpack Miller und einen Leistenbruch gekostet -vermute ich zumindest, weil es mir so komisch in der Hüfte zieht. So was passiert, wenn zwei mittelalte Menschen in einem dunklen Straßengraben versuchen, das erste Mal seit dreißig Jahren wieder Räuberleiter zu machen. Jetzt sind wir also oben, aber so richtig supertoll fühlt es sich nicht an. Der Abstand zum Vorbild aus dem Film ist einfach zu groß. Wie sitzen nämlich nicht wie Harley Davidson und der Marlboro Man vor einer coolen Werbung für das sündige Las Vegas, sondern lehnen uns gegen die Reklame einer ortsansässigen Immobilienmaklerin. Und die sieht aus wie eine in die Jahre gekommene Monica Lewinsky. Ihr gigantisches Pferdegebiss hinter meiner Schulter scheint fast nach meiner Miller-Dose zu schnappen. Aber egal, wir sitzen auf dem Werbeschild, dem Drehbuch im Kopf wurde Genüge getan. Harley Davidson und der Marlboro Mann - lustig, solche Titelhelden hat der Zeitgeist völlig unmöglich gemacht, die würden heute garantiert anders heißen. Individualverkehr und Rauchen wie schockierend!

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