Extraleben - Trilogie
jetzt bitte die Augen zu schließen. Ich habe natürlich gefragt, was der Scheiß solle, aber er meinte nur ganz beiläufig, das sei eine »reine Vorsichtsmaßnahme« und sein Kontakt sei »recht sensibel«.
Das war wieder einer der Momente, in denen ich Angst habe, ihn bald in der Klapse für Tinfoil-Hats abliefern zu müssen. Selbstredend habe ich nur so getan, als würde ich die Augen zumachen, und den Rest der Route schön durch einen Sehschlitz mitverfolgt. Im letzten Kaff bog er auf eine Schotterstraße ab, dann ging es vorbei an zwei Farmen, und nach ungefähr drei Meilen waren wir angekommen im Nirgendwo. Die Leute denken ja immer, in Montana sähe es aus wie bei »In der Mitte entspringt ein Fluss«, mit dichten Wäldern und netten Flüsschen zum Fliegenfischen et cetera. Tut es aber nur in der westlichen Hälfte des Staates, da, wo die Rockies anfangen. Der Rest von Montana ist absolut stinklangweiliges Farmland, platt und öde, nur unterbrochen von Dörfchen, denen seit Jahrzehnten die Einwohner weglaufen. Da stehen wir also, mitten in der Agrarwüste, direkt unter einem großen Tor aus Baumstämmen, das den Eingang zu einer Ranch markiert. In den obersten Balken hat jemand mit einem Lötkolben ein paar wackelige Buchstaben reingebrannt:
BRUDERHOF
Das klingt ungut. Genauso ungut, wie die Farm aussieht. Von hier sind nur ein paar graue Flachbauten mit rotem Giebeldach und erstaunlich wenig Fenstern zu erkennen. Die sehen eher wie eine neu gebaute Kaserne aus als wie ein Bauernhof, ein bisschen auch wie eine der geheimen Farmen aus »Akte X«, wo diese außerirdischen Killerbienen gezüchtet werden oder was auch immer. Bruderhof, seltsam. Nachher hocken da drüben irgendwelche Nazis, die den Staat hassen und uns mit ihrem Scharfschützengewehr ein Dum-dum-Geschoss in den Kopf jagen, weil sie denken, dass wir vom FBI sind.
»Was sind'n das für Freaks hier, Alter?«, erkundige ich mich.
»Warts ab«, zischt Nick zurück. Verschwiegen bis zum Schluss, der Gute. Er schaut wieder auf die Uhr, dann hält er sich die Hand schützend vor die Stirn und lässt den Blick über den Horizont schweifen. Auf einmal reißt er den anderen Arm hoch und fängt an, wild zu winken.
»Da! Er kommt.«
Tatsächlich ist am Ende der Schotterstraße ein winziger Punkt aufgetaucht. Nick mag ja grundsätzlich auch keine Menschen, da geben wir uns nichts. Seit der Schule hat er original keinen einzigen Freund neu dazugewonnen. Sicher, da gab es diese Kiffbrüder, mit denen er während des Studiums abhing, aber die hätte er niemals im Leben als Freunde bezeichnet. Bei mir sieht es natürlich nicht anders aus. Außer Familie und Schulfreunden hat es niemand in die Datei mit den Kontakten geschafft. Diagnose: Seit uns der Direx das Abizeugnis in die Hand gedrückt hat, steht unsere Welt -sozial gesehen - still. Etwas verschroben, sicher, aber der Beifahrer meinte, das sei halt so wie mit den alten Games: »Wenn du weißt, was du magst, warum dann weiterziehen?«
Never change a running system, das war auch immer sein Motto bei Sozialkontakten. Nach dem Abi hatte er alle Rollen besetzt, es bestand also kein Anlass, nach weiteren Lebens-Komparsen zu suchen. Genau das macht die Sache hier so interessant. Wenn Nick um die halbe Welt jettet, um sich mit jemandem zu treffen, und denjenigen obendrein vorher anruft, um einen Termin auszumachen, muss dieser Mensch wirklich etwas Besonderes sein. Der schwarze Punkt springt hoch und runter, unser Kontaktmann scheint den Weg zu uns zu rennen. Über die Kollegen bei der Datacorp verliert Nick normalerweise kein Wort, alles andere wäre in den Augen eines überzeugten Business-Kaspers wahrscheinlich unprofessionell. Außerdem lästern gute Menschen wie Nick nicht. Da muss schon ein aggressiver Unsympath wie Shaun kommen, um ihn so weit zu bringen, dass er ein paar Seitenhiebe austeilt. Den hat er mal als »the Fabio of IT« abgekanzelt, obwohl Andie direkt danebenstand. Sie musste voll lachen und hat sich verschämt die Hand vor den Mund gehalten - als wäre sie die Queen und jemand hätte gerülpst. Fabio ist ein zweitklassiger Bodybuilder, den kennt hier in den Staaten fast jeder - so ein supercheesy Typ mit langer blonder Mähne, der früher auf Kitschromanen für Frauen abgebildet war und mittlerweile Werbung für Diät-Margarine schiebt. Nick hastet zum Auto rüber, um das Tape unterm Sitz hervorzuholen, dabei löst er seinen Blick keine Sekunde vom Horizont. Durch die Luftspiegelungen
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