Extraleben - Trilogie
Todessterns abschalten. Dr. Strangelove, Ihr Computer steht bereit. Augenblick - der Rechner ist ja gar nicht so alt, der ist ja im Prinzip nur so alt wie wir, sogar noch was jünger! Dass bedeutet, wir müssen innen drin genauso verschrammt, vergilbt und überholt sein. Die gleichen Kräfte, die diese Maschine aus Metall und Silizium in ein paar Jahrzehnten völlig abfucken konnten, haben die ganze Zeit auch auf unsere Zellen gewirkt - Sonne, Licht, Kälte, Hitze, Entropie. Wenn man drüber nachdenkt, ist es ein Wunder, dass wir noch leben. Eine LED auf der Frontplatte blinkt geschäftig. Gleich geht's los. Gleich werden wir sehen, ob der Beifahrer richtig lag und diese lächerliche Kassette die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährdet - oder ob nur der Bewässerungsplan von irgendwelchen Jesusfreaks drauf gespeichert ist. Was? Jetzt schon? Über den Monitor huschen ein paar Zeilen, dann glimmt nur noch ein kurzes Wort am oberen Rand, wahrscheinlich READY. Scheint ja nicht viel drauf zu sein auf dem Band. Aber es hat gereicht, um John dazu zu bringen, sein Leben zu riskieren. Selbst Joseph zuckt kurz zusammen. Er hatte sich mit der Aussicht auf eine längere Ladezeit schon geistig ausgeklinkt und fällt jetzt vor lauter Überraschung ins Englische zurück.
»The file is about eight kilobyte. Do you need a printout?«
Ohne unsere Antwort abzuwarten, beginnt er, an dem riesigen grauen Drucker auf dem Tisch rumzuhantieren.
»Sure«, antwortet Nick. Joseph beugt sich zum Rechner zurück, tippt ein paar Kommandos ein. Mit einem infernalischen »Gnääääääääh« hämmert der Nadeldrucker die erste Zeile aufs Papier. Acht Kilobyte auszudrucken müsste ja eigentlich kein Problem sein, wissen wir ja noch aus der 64er-Zeit. Wenn man jedes Byte als zweistellige Hex-Zahl darstellt, immer mit einem Leerzeichen dazwischen, müsste die gesamte Datei auf drei, maximal vier Seiten passen. Die Papierkosten werden die Kolonie jedenfalls nicht ruinieren.
»Gnnähhhhh.«
Das erste Blatt ist zur Hälfte aus dem Drucker rausgekrochen. Der Zahlensalat sieht original aus wie die endlosen Maschinenspracheprogramme, die wir früher aus der »64'er« abgetippt haben: Erst kam DATA -und der Rest der Zeile war zugehauen mit Zahlen zwischen 0 und 255. Obwohl einen der geniale Checksummer sofort warnte, falls man eine Ziffer falsch abgetippt hatte, war das Ganze eine unfassbare Geduldsprobe. Der zeitgenössische Grundschüler würde es vermutlich ablehnen, überhaupt im Heft nach einem Programmcode zu blättern. Verdammte vom Random Access verwöhnte Brut, die brauchen keine Infos mehr zu suchen, sondern kriegen die Stelle, an der es interessant wird, immer gleich auf dem Silbertablett serviert. Klack, der Nadeldrucker zieht die zweite Seite Endlospapier ein -es sind diese Blätter mit den dünnen grünen Linien drauf und den Löchern am Rand, wo die Zahnräder des Druckers anpacken. Joseph rutscht unruhig auf dem Schemel rum.
»Sollen wir mal reinschauen?«, schlägt er beiläufig vor. Aha, er wird auch neugierig, er will auch wissen, was auf dem Tape drauf ist. Nick zögert natürlich, aus Geheimhaltungsgründen, doch ich überstimme ihn einfach.
»Auf jeden Fall! «
Freudig erregt greift Joseph in die Tasten, während er in seinem Arnie-Deutsch weiterknödelt.
»Also, die Daten auf dem Tape gehören nicht zu einem Programm für den IBM, ich denke, der Code ist für eine andere Plattform geschrieben worden, aber was für eine, kann ich nicht sagen.«
Weiteres intensives Klickern.
»Ich schaue mal, ob ein EBCDIC-Text drinsteckt.«
Weiße Buchstabenblöcke drängeln sich von oben auf den Bildschirm, als ob er den Basic-Klassiker eingegeben hätte:
1 X=X+1
2 PRINT X
3 GOTO 1.
Das Miniprogramm hatten wir alle noch unterm Weihnachtsbaum in den C64 reingehackt, um unseren Eltern zu demonstrieren, was für total ernste wissenschaftliche Anwendungen wir mit der Kiste vorhatten. Zwölf Stunden später zockten wir Samantha Fox Strip Poker.
»Fast fertig«, murmelt Joseph. Woooom - der saß. Das Gewitter muss direkt über uns sein, beim letzten Donner hat die ganze Hütte gewackelt. Nicht gut, jetzt fängt auch noch die Neonröhre an zu flackern, wenn der Strom ausfällt, war die ganze Aktion umsonst. Oder der absolute Worst Case: Der IBM stürzt ab und löscht beim Neustart ein paar Bits auf dem Band - durch die Stromspitze oder so. Deshalb musste man beim Cevi ja auch immer erst die Diskette rausnehmen, bevor man das
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