Extraleben - Trilogie
Ausdrucke, schüttelt den Kopf und legt ihn beiseite.
»Zum Thema Datenmenge: Bei der echten Voyager-Sonde haben sie die Software zur Flugsteuerung in vier Kilobyte gequetscht - und einer der Programmierer konnte den ganzen Code sogar auswendig. Der wäre heute der Held auf jeder Demoparty! «
Okay, das Speicherargument zieht nicht. Wir haben also dieses Band, auf dem eine Software abgelegt wurde. Die steuert einen Satelliten, der über unseren Köpfen kreist, seit wir in der Grundschule waren. Wie wäre es mit dem naheliegenden Einwand?
»Aber warum in aller Welt ist dieses Band so wichtig?«
Als ob er nur darauf gewartet hätte, zwinkert der Beifahrer wie ein verhinderter Freibad-Gigolo mit dem rechten Auge .
»Das, mein Freund, ist die große Frage. Deshalb werden wir gleich im Chalet mal ein kleines Telefonat führen.«
#39 T-2: 06:39
Für einen ziemlich langen Moment wackelt die Dose auf dem Rand des Papierkorbs herum, so, als könnte sie sich nicht entscheiden, wohin ihre Reise gehen soll: Außenseite oder Innenseite? Dann kippt sie doch außen runter, wie ein Taucher, der sich rückwärts ins Wasser gleiten lässt, und schlägt mit einem dumpfen »Kloing« im braunen Flokati-Meer auf. Ein paar Tropfen Bier spritzen bis zur Wand und perlen von der Vertäfelung ab.
»So eine Scheiiiiiiiße«, schreit Nick und springt mit hochrotem Kopf auf seinem Bett rum. Tja, Regeln sind Regeln, Dude, jetzt musst du anrufen - wo auch immer. Ich greife in das kleine Fach unter dem Nachttisch und frickele eine neue Dose aus dem Sixpack, das oben von so einem Plastikband zusammengehalten wird; in den Dingern verfangen sich angeblich jedes Jahr zehn Trillionen Möwen und verrecken, weil irgendwelche Asis sie in die Landschaft geschmissen haben, also die Dosenbänder. Jetzt nur noch den Moment abpassen, in dem Nick zum Durchatmen eine kurze Hüpfpause einlegen muss, dann ein Auge zukneifen und den perfekten ballistischen Kurs für die Dose fixieren.
»Achtung!«, warne ich vor.
»Feuer!«, verlangt der Beifahrer, streckt die Arme aus und geht leicht in die Knie, wie ein Footballspieler, der einen Pass erwartet. Okay, Feuer. Ich schmeiße die Dose rüber. Mist, Error, falsche Flugbahn! Die Dose eiert durch den Raum und rast - statt auf Nick - auf den Zenith-Fernseher zu; es ist ein altes Modell, wo man das Programm vorne noch mit einem Drehknopf einstellt, wäre schade drum. Nick denkt das Gleiche. Anstatt die Dose einfach vorbeifliegen zu lassen, hechtet er mit einem lauten Kampfschrei hinterher, schnappt sie aus der Luft und schlägt mitsamt seiner Beute krachend hinterm Bett auf. Ich springe sofort hoch.
»Alles klar, Alter?«
Kurze Stille, dann wächst Nicks Hand mit der Bierdose hinter der Bettkante hoch. Er präsentiert sie stolz in die Luft gereckt, als ob es die Fackel der Freiheitsstatue wäre. Manchmal vergisst er echt, wie alt wir sind. Das sind so Aktionen, nach denen so mancher Kollege unseres Jahrgangs in der Notaufnahme landen würde. Aber um Retro-Tech zu retten, riskiert Nick eben alles.
»Vielen Dank, meine Damen und Herren«, verkündet Evel Knievel grinsend, nachdem er sich wieder aufgerappelt hat. Er klopft kurz auf die Dosenoberseite und reißt sie auf.
»Muss mir noch Mut antrinken.«
Welche mysteriöse Person wir anrufen müssten, um zu erfahren, was es mit der vermeintlichen Satelliten-Software auf sich hat, ließ er sich nicht aus der Nase ziehen, weder im Auto noch im Motel.
»Erst mal'n Bierchen«, lautete seine Ansage. Wir beschlossen, ein Spiel draus zu machen: Wer es als Erster nicht schafft, seine leere Dose vom Bett aus in den Papierkorb zu treffen, der neben dem Fernseher steht, muss anrufen. Es hat ein paar Runden gedauert, aber jetzt ist das Match entschieden: Auge-Hand-Koordination hat mal wieder gegen Hirn gewonnen. Kee wins, der Nickmeister muss an die Strippe. Gierig gurgelt er die Hälfte seiner neuen Dose in einem Zug runter. Theoretisch ist er schon viel zu hacke dazu, um irgendwo anders als bei einer Horoskop-Hotline anzurufen, aber ich vertraue auf seine geheime Übermenschen-Reserve. Im entscheidenden Moment wird er schon wieder nüchtern sein. Zeit für die Gretchen-Frage.
»So, und wen rufen wir jetzt an? Gesine Obermann?«
Nick schüttelt den Kopf, ohne die Dose abzusetzen. Gesine war bei uns damals in der Stufe das Alphaweibchen, von dem alle träumten. Die hatte schon richtig was Frauliches, trug immer Schuhe mit leichten Absätzen, in denen ihre Fesseln zum
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