Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
Vom Netzwerk:
beuge mich nach vorne, um unsere folierten Kohlenhydrate in Empfang zu nehmen. Und da sehe ich sie: die Waffe im Handschuhfach. Sie klemmt mit dem Lauf nach vorne zwischen dem AutoHandbuch und etlichen roten Flaschen, nur das Ende des Magazins ragt ein Stück raus. Doch das reicht. Diesen Gummigriff mit den Fingerkerben haben wir schon viel öfter gesehen, als friedliebende deutsche Menschen das sollten. Scheiße. Eine Glock, Vierziger-Kaliber. Die kriegen beim FBI alle Special Agents an ihrem letzten Schultag, behauptet Nick. John ist also doch nicht subtil, wie wir dachten. Er vertraut nicht nur darauf, dass seine Einschüchterungen wirken. Er hat einen Plan B. Wenn wir rumzicken, wird er uns - mit einer Kugel im Kopf-irgendwo am Rand des Highways deponieren.

#46 T-2: 00:20
    Soll ich Nick das mit der Waffe sagen? Sagen wird eh schwierig, John kann schließlich gut Deutsch, und ich habe das Gefühl, dass er seine Ohren auch hier hinten hat. Ich könnte es dem Beifahrer natürlich aufschreiben, aber was wäre dadurch gewonnen? Nein, jetzt noch nicht, er ist gerade so gut im Flow. Sein Sandwich hat er nicht gegessen, sondern eher durch Osmose aufgenommen. Um die Augen nicht von den Ausdrucken loseisen zu müssen, steckte sich Nick immer einen Toastlappen in den Mund und saugte ihn langsam ein, während er weiter kritzelte und blätterte. Wären die Umstände ein bisschen anders, könnte man sagen: Er ist im Paradies. Denn wenn der Beifahrer etwas liebt, dann an einem Programm in Maschinensprache rumzudoktern. Maschinensprache, das ist für ihn so was wie ein Heiligtum, die einzig gültige Art, mit einem Computer zu kommunizieren. Sein Loblied auf Assembler hat er schon so oft gesungen, dass ich es auswendig kann. Der Refrain ging das letzte Mal-nach ein paar Bierchen - ungefähr so: »Bei Maschinensprache, da gibt's kein lähmendes Betriebssystem, das zwischen dir und dem Rechner steht, keine Fenster oder knuddeligen Icons, nichts. Das ist wie Sex! Der ganze Anwenderscheiß dagegen, das ist im Prinzip, als ob dir einer davon erzählt, wie er 'nen Porno geguckt hat.«
    Deshalb geht ihm insgeheim bestimmt einer ab, weil er sich durch den Maschinensprache-Code des Satelliten wurschteln darf. Im Prinzip ist die Sache simpel: Jede der Hexadezimalzahlen auf den Ausdrucken steht für einen Befehl, den der Prozessor ausführt. Hat Nickybaby damals im Büro alles lang und breit erklärt, allerdings ist bei mir von seinem ganzen Vortrag über den 1802-Chip im Allgemeinen und im Besonderen komischerweise nur ein Beispiel hängen geblieben: Die Hexzahl E steht für den Befehl SEX. Und SEX steht für Set Execute Buffer oder Secure Execution oder ... keine Ahnung, was auch immer, jedenfalls erledigt der Prozessor dann irgendeine Mini-Aufgabe, addiert eine Zahl oder liest einen Platz im Speicher aus. Nicks Problem ist: Er muss nicht nur einen einzigen Befehl übersetzen, sondern rauskriegen, was die viertausend Instruktionen auf den Seiten bedeuten -und obendrein einen tödlichen Fehler finden, der in dem Programm steckt. Nadel. Heuhaufen. Und so. Zuhause, wenn er einen guten Lauf hätte, könnte er das in einer Woche schaffen. Aber niemals in einer Nacht. Deshalb werden wir in viereinhalb Stunden sterben. Im Prinzip hätte das alles ganz anders laufen sollen. Schließlich gehören wir ja zu den ach so begabten Computerkids, und in dieser Funktion hätte uns eine ganz andere Zukunft zugestanden. Wie hat Arthur Clarke, der Vater von »2001«, so schön geschrieben: Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden. Die Technologie hieß Computer, und wir waren die Magier - zumindest eine Zeit lang. Ich werde niemals den Gesichtsausdruck meines Vaters vergessen, als ich diese debile Demo aus dem Handbuch des C64 fertig abgetippt hatte. Die produzierte einen türkisblauen Ballon-Sprite, der nichts anderes machte, als ständig von links oben nach rechts unten zu wandern. Mein alter Herr starrte zuerst auf seinen geliebten Saba-Fernseher, über den er bis vor wenigen Sekunden noch herrschen durfte, und dann auf mich.
    »Ganz toll, Junge«, hat er gemurmelt. Dabei schaute er mich an, als wäre ich gerade aus einem Ufo gestiegen. Spätestens da war mir klar: Das Blatt hatte sich gewendet. Auf einmal stand diese Tarnvorrichtung im Wohnzimmer. Sie tarnte, dass ich im Prinzip nichts drauf hatte. Aber wie jeder Klingone bestätigen kann, ist das die halbe Miete. Nein, das hätte anders laufen müssen. Wir

Weitere Kostenlose Bücher