Extraleben - Trilogie
schlägt Atom-Ed verschmitzt vor. Noch ehe er mit den Augenlidern klimpern kann, ist das »Okay« bereits aus meinem Mund gekommen, und wir setzen uns wieder im Gänsemarsch in Bewegung, diesmal Richtung Kasse. Wo in Coffeeshops üblicherweise der erste eingenommene Dollarschein in einem Rahmen präsentiert wird, prangt bei Ed eine Karte von New Mexico. Ich schaue auf die Uhr, dann auf die Karte. Mist, schon nach vier. Was wir jetzt brauchen, ist eine mittelgroße Stadt mit Motel und Elektronikladen. Wir könnten nach Santa Fe fahren, aber da sind wie erst vor einer halben Stunde durch, wir müssten also die gleiche Straße, die wir gekommen sind, zurückgondeln - ein klarer Verstoß gegen unsere Road-Regeln. Oder wir versuchen, noch bis zur Interstate nach Arizona zu kommen, entlang der Schnellstraßen sind die Käffer ja auch größer. Auf jeden Fall wartet ein Haufen Arbeit auf uns.
LEVEL 10
Wir haben es geschafft: Kurz vor Einbruch der Dunkelheit rollen wir die Hauptstraße von Farmington runter, kurz vor der Staatsgrenze nach Colorado. Anders als sonst in New Mexico vergingen die letzten Stunden hinter dem Steuer wie im Flug, vor allem, weil wir die Zeit damit verbringen konnten, jedes Detail unseres neuen Plans auszubaldowern. Wie kommen wir an die Daten auf den Cartridges? Wie finden wir raus, ob es im Code irgendwo Auffälligkeiten gibt? Welche Hardware müssen wir bauen? Nach der Müllkippen-Pleite von heute Morgen scheinen wir jetzt eine Glückssträhne zu haben: Ohne lang zu suchen, finden wir in dem Örtchen einen Elektronikladen, in dem wir uns mit Kabeln und Lötkolben eindecken können. Außerdem betreibt ein freundlicher Inder um die Ecke eine Absteige namens Motels, wo wir natürlich sofort einchecken, denn unser Ehrgeiz besteht seit Jahren darin, in möglichst vielen Buden zu logieren, die schamlos Namen und Logo des Marktführers Motel 6 abkupfern. Wir haben schon allen möglichen Fakes eine Chance gegeben: Interstate 5, Motel 7, National 9. Und auch das Motels enttäuscht uns nicht: Vor der Tür bewirbt das Management die wöchentlichen Mietpreise, außerdem trägt der Laden nicht das Prüfsiegel des AAA, einer Art von amerikanischem ADAC. Daran kann man, das haben wir herausgefunden, eine Unterkunft erkennen, in der Leute wohnen, die sich ihre Raten für einen eigenen Wohnwagen nicht mehr leisten können.
»We don't rent to bad people«, belehrt uns der indische Besitzer beim Einchecken unaufgefordert. Es soll kein leeres Versprechen sein: Schon beim Kofferreintragen humpelt eine Frau, deren Gesicht von jahrelangem Methamphetamin-Konsum gegerbt ist, auf uns zu und fragt, ob wir irgendetwas bräuchten. Sie sieht aus wie 50, ist wahrscheinlich erst 35 und hat noch genau drei Zähne im Mund. Durch die Furchen ihres Halses laufen einige tätowierte Tränen, wie sie im Frauenknast für jedes Jahr Aufenthalt verteilt werden. Ich murmle ein mittelmäßig bestimmtes »No thanks«, haste ins Zimmer und versuche, nicht darüber nachzudenken, was sie gemeint hat. Von Gemütlichkeit versteht der indische Gastgeber viel: An der Decke flackert ein Neonkranz - gerade hell genug, um die großzügige Einrichtung, zwei gelbe Kunstledersessel, auszuleuchten. An der Wand hängt ein Porträt von John Wayne. Schon beim Reinkommen wirkt der Raum irrsinnig beklemmend. Nachdem wir ein paar Mal die Wände ablaufen, fällt uns auch auf, warum: Das Motel wurde aus alten Wohnwagen zusammengebaut, und deshalb sind die Räume so niedrig, dass man sich im Stehen mit dem Arm an der Decke abstützen kann - was wir mehrfach unter großem Gelächter auch tun. Im Bad geht der Luxus weiter: Die Toilette hat zwar ein Schloss, aber weder Klinke noch Schlüssel. Wer reinwill. muss an dem Stück Seife ziehen, das ein aufmerksamer Gast im Schlüsselloch verkeilt hat.
»Do not remove batteries from smoke detector«, mahnt ein Schild neben dem Rauchmelder. So buchstabiert man Klasse.
»So, jetzt werden wir mal ordentlich löten!«, witzelt Nick, während er unsere Einkaufstüten auf das Motelbett entleert. Wir schaufeln uns die ebenfalls an Bord geholten Burritos rein und gehen ans Werk. Die Aktion E. T. phone home läuft an. Nick fährt seinen Rechner hoch; er übernimmt wie üblich den Part des Programmierers, an mir bleibt das Schrauben hängen. Die erste Aufgabe lautet: Wir müssen einen Weg finden, eine Kiste voller Speichermodule auszulesen, durch die ein Vierteljahrhundert kein Strom geflossen ist. Zum Glück hat Nick im Netz
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