Extraleben - Trilogie
einzigen Kunden zu sein.
»Alter!«
Nick schubst mich an und zeigt auf ein 19-Zoll-Rack mit einer Festplattenstation. Quer über das Gehäuse klebt ein orangefarbenes Schild mit der Aufschrift Secret . Daneben steht ein gefährlich aussehender Edelstahlzylinder, in den ein kleines Bullauge eingelassen ist. Das Glas muss mindestens drei Zentimeter dick sein.
»That's a Fermacell Fermentor. They used to make Anthrax with that.«
Wir drehen uns um. Hinter uns steht ein älterer Herr, anscheinend der Besitzer des Ladens. Unseren Schock spürend, lächelt er ein wenig müde.
»Hi, I'm Ed. Just let me know if I can do anything for you.«
Der Mann mit der heiseren Stimme sieht aus wie eine Kreuzung aus verwirrtem Professor und Hippie: Sein rosarotes Gesicht wird von einem für das Alter sehr dichten grauen Schopf eingerahmt, er trägt eine Strickjacke und ein sauber gebügeltes blaues Hemd, in dessen Tasche drei sorgsam positionierte Kugelschreiber stecken. So weit das Rentnerklischee. Doch einige Details fallen krass aus dem Rahmen, zum Beispiel das indianische Schmuckstück, mit dem er den Kragen seines Button-down-Hemds zusammenhält, oder seine Hose mit Seitentaschen und grauem Camouflage-Muster. Unweigerlich läuft im Kopf die passende Filmbiografie ab: Ed, ein aufstrebender Jungwissenschaftler im Los-Alamos-Nuklearlabor, verliebt sich in Nancy, Tochter aus bürgerlichem Haus und Blumenkind. Sie überzeugt ihn, dem militärisch-industriellen Komplex den Rücken zu kehren und mit ihr nach Haight-Ashbury, dem Hippie-Stadtteil San Franciscos, zu ziehen. Aber die Sache funktioniert nicht, weder zwischen Ed und Nancy noch die Bewegung insgesamt. Am Tag, als die Hells Angels beim Stones-Konzert in Altamont einen Besucher abstechen und der Summer of Love offiziell zu Ende ist, packt der Forscher seine Sachen und kehrt nach New Mexico zurück. Doch im nuklearen Establishment ist für den Rebell keinen Platz mehr, und so eröffnet Ed am Highway einen Laden mit gebrauchter Laborausrüstung. Noch heute nennt er sein Sortiment »Atommüll« und hat sein Geschäft mit Protestfolklore von damals geschmückt.
»One bomb is too many«, steht auf einem Schild, das über einem der Gänge im Laden hängt; darüber hat der Besitzer einen Atompilz gemalt. Ob die ausgedachte Lebensgeschichte stimmt, werden wir nie erfahren. Denn dafür müssten wir mit Ed reden und das widerspräche einer der Grundregeln auf allen unseren Reisen: kein Kontakt zu Menschen außer Motel-, Restaurant-und Tankstellenpersonal. Die Interrail-Zeiten, in denen »Leute kennen lernen« zu den erstrebenswerten Urlaubs zielen gehörte, haben wir längst hinter uns gelassen - wenn es die überhaupt einmal gab. Im Laufe der Jahre haben wir festgestellt, dass es viel mehr entspannt, das Land ohne Leute kennen zu lernen. Deshalb lenke ich das Gespräch mit dem Althippie in nützlichere Bahnen: »Do you happen to have any computer games?«
Ed überlegt einige Sekunden und trottet dann einen der finsteren Gänge hinunter .
»I used to have this box ...«
Wir folgen ihm im Gänsemarsch, marschieren an einer Reihe elektrischer Schreibmaschinen und Geigerzähler vorbei. In einer Ecke hinter etwas, das wie ein Rasterelektronenmikroskop aussieht - auf dem Schild ist »Navy Department - Bureau of Ships« eingraviert -, wird Ed fündig. Er zieht eine Kiste hervor, die bis oben mit alten Autorücklichtern vollgepackt ist. Mit seiner zerfurchten Hand trägt der alte Mann die oberste Müllschicht ab und fischt einige alte Cartridges für das Atari VCS hervor. Bingo. Schon auf dem ersten Plastikkästchen ist der kleine Elliott mit seinem ver-schrumpelten Freund zu sehen. Keine Frage, dieser Karton muss haarscharf der Bestattung in Alamogordo entgangen sein - oder eben nicht.
»I don't know whether they still work ...«.
sagt Ed vorsichtig . Ich sehe, wie sich Nicks Mundwinkel nach oben biegen, und kann seine Gedanken förmlich hören: Natürlich gehen die noch, und wir wollen sie, jetzt sofort, um jeden Preis! Der Plan, sich nichts anmerken zu lassen, geht in diesem Moment wie üblich den Bach runter.
»Nice«, stottere ich verlegen. Spätestens jetzt hat Ed spitzgekriegt, dass wir uns mit jeder Faser unseres Körper nach diesem verdammten Karton verzehren. Er kramt weiter herum und holt eine komplette, aufgeschraubte Konsole hervor. Es folgen weitere Cartridges, Kabel, Joysticks in verschiedenen Stadien der Demontage.
»How about the whole box for, like, 50 bucks?«,
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