Extraleben - Trilogie
er, den Blick immer noch auf den Monitor gerichtet. Aber das Faltengebirge zwischen seinen Augenbrauen verrät schon, was er eigentlich sagen will: Vergiss es, da kommt eh nichts bei raus. Und irgendwie spüre ich, dass er damit richtig liegt. Denn wenn es den Datacorp-Leuten gelingt, mithilfe eines dreißig Jahre alten Spiels die Kontrolle über einen modernen Rechner zu übernehmen, werden sie auch in der Lage sein, ihre Spuren perfekt zu verwischen. Was bleibt, ist, den großen Trick noch einmal zu wiederholen.
»Versuch doch mal, auf dem Gipfel rechts außen zu landen«, schlage ich vor.
»Okay«, sagt Nick und kramt nach dem Emulator. Fast wie in Zeitlupe wandern seine Hände über die Tastatur. Mann, Alter, geht es noch langsamer? Ich ziehe kurzerhand den Rechner rüber. Klick, Emu starten, alles wieder auf Anfang. Dann abwarten, abwarten, Fähre nach rechts drehen, Vollgas. Im genau gleichen Sturzflug wie vorhin lasse ich die Mondfähre auf den Berggipfel zurasen. Bumm. Wie bei den zig erfolglosen Versuchen zuvor zischen die Trümmer in alle Himmelsrichtungen ab, und das Programm quittiert den besonders harten Touchdown mit dem Satz YOU CREATED A TWO MILE CRATER. Nick starrt mich leer an.
»Und? «
Irgendwo in den Weiten des Rechners muss das Datacorp-Programm eine Fahne gehisst haben, die Moonlander verrät, dass die geheime Botschaft schon einmal abgespielt wurde - oder mit dem Emu selbst stimmt irgendwas nicht; wer weiß, von welchem russischen Dreckshost Nick das Ding gezogen hat. Es gibt jedenfalls nur einen Weg, die mysteriösen Koordinaten noch einmal zu sehen: Alle Daten auf dem Rechner löschen, Betriebssystem neu aufsetzen und mit einer frischen Version von Moonlander von vorne beginnen. Als ob er meinen Vorschlag ahnt, wimmelt Nick ab: »Das können wir uns doch morgen genauer anschauen, oder?«
Obwohl mir das Adrenalin immer noch von der Stirn tropft, nerve ich ihn nicht weiter, schließlich war es nicht nur ein guter, sondern auch ein verdammt langer Tag. Und wir haben schon nach elf.
»okay - aber gib wenigstens mal die Koordinaten ein«, schlage ich vor. Wortlos loggt sich Nick in das Netz des Sands ein - hier lautet das Passwort Default - und liest die eingeritzten Zahlen von der Sixpack-Pappe ab. 67 Grad 5,48 Minuten Nord, 50 Grad 14,45 Minuten West. Enter. Der Geoserver antwortet, eine Weltkarte baut sich auf. Ein paar Datenpakete fliegen durch den Innenhof, dann blinkt ziemlich in der Mitte zwischen Europa und Amerika ein roter Punkt auf. Grönland! Wir schauen uns an und brechen in Gelächter aus.
»Godthâb«, fragt Nick.
»Könnte sein.«
Ich glaube, an diesem Punkt ist mein Beifahrer endgültig ausgestiegen. Die Sache mit Godthâb ist so eine Art Dauerwitz auf unseren Touren. Irgendwann vor Jahren hat Nick mal bemerkt, dass genau in der Mitte zwischen Deutschland und den USA ein Ort namens Godthâb liegt. Zumindest erscheint dieser Name immer auf der elektronischen Landkarte im Flugzeug, wenn die Hälfte der Strecke geschafft ist. Es ist nur ein kleiner weißer Punkt mitten im Atlantik, irgendwo zwischen der irischen Küste und Neufundland. Und eigentlich bemerkt man Godthâb auch nur deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt meistens der erste Film vorbei ist und das Kabinenpersonal die nächste VHS-C-Kassette einlegt, mit »Beethoven Teil IX - jetzt wird gekuschelt« oder so was. Das ist ganz nebenbei auch der Moment, in dem dieser hartnäckige Klimaanlagen-Schnupfen losgeht, den man drei Tage nicht mehr loswird. Für ein paar Minuten gibt es jedenfalls nichts zu sehen außer diesem Punkt namens Godthâb. Und jedes Mal fragen wir uns, wie es da wohl aussieht, mitten in Grönland. Nick meint, der Name klinge irgendwie nach Walhalla, und er stelle sich dabei eine Art verschneite »Herr der Ringe«-Landschaft vor, mit steilen Felsnadeln unter schwarzen Wolken. Ich denke bei Godthâb eher an eine Betonpiste mitten in der Eiswüste, über der amerikanische B-52-Atombomber kreisen, um im Fall eines russischen Angriffs sofort zurückschlagen zu können. Auf jeden Fall müsse dieses Kaff im Nirgendwo ein mythischer Ort sein, da sind wir uns einig, und irgendwann sollten wir da mal hinfahren. Ernst gemeint war dieser Plan natürlich nie, schließlich gehört es zu unseren erklärten Grundregeln, Natur nur in homöopathischen Dosen zu genießen. Und nach einer Convenience-Wildnis, mit trockenem Bett und Steak in maximal zwei Autostunden Entfernung, sieht es inGodthâb echt nicht aus. Aus dem
Weitere Kostenlose Bücher