Extraleben - Trilogie
Plateau am Fuße des größten Berges vor. Meine Fähre schwebt links oben in der Ecke des Monitors los und beginnt, da ich den Raketenmotor noch nicht gezündet habe, langsam zu fallen. Okay, jetzt geht es darum, den ultimativen Regelverstoß zu finden. An welcher Stelle würde Alan Carter seinen Adler niemals aufsetzen, wo hätte Aldrin das LEM keinesfalls runtergebracht? Das Ziel ist lediglich zwei Meter breit, eine kleine Ventilationsöffnung. Angezogen von der simulierten Schwerkraft beginnt die Landefähre zu fallen. Der höchste Berggipfel rauscht steuerbords vorbei - egal, die Stelle wäre ohnehin zu offensichtlich gewesen. Bleiben noch zwei Gipfel übrig, einer in der Mitte des Bildschirms und einer am rechten Rand. Langsam geht die Fähre vom Landeanflug in den freien Fall über, rast auf den Felsblock zu. Noch eine Hand breit Bildschirm bis zum Aufschlag. Jetzt! Ich entscheide mich für den Berggipfel rechts außen und drücke gleichzeitig auf die Pfeiltasten rechts und oben. Der Lander dreht sich auf die Seite. Ungebremst rast die kleine Spinne weiter auf den Boden zu, nur dass das gezündete Raketentriebwerk sie jetzt zusätzlich nach rechts schiebt. Noch zwei Daumen bis zum Berggipfel, noch einer. Ich schließe die Augen und warte unweigerlich auf das Grummeln einer synthetischen Explosion. Aber wie in all den Spielrunden zuvor bleiben die Lautsprecher des Rechners stumm; es herrscht weiter eisige Stille im Weltall-kein Wunder, als das Spiel geschrieben wurde, gab es noch keine Soundkarten. Leise summt die Klimaanlage neben dem Bett vor sich hin und wiegt die Vorhänge mit ihrem Luftstrom langsam hin und her. Unten bei Nick gibt es jetzt sicher einiges zu sehen. Ich schaue zurück auf den Bildschirm. Der Lander ist verschwunden. Alles wie immer. Nein - doch nicht! Keine stilisierten Trümmer fliegen durch das Vakuum, kein mechanisches START OVER erscheint. Nichts. Bis auf Landschaft und Punktestand bleibt der Bildschirm einige Sekunden lang leer. Dann - Buchstabe für Buchstabe - bauen sich eckige Strichlettern über meiner Landeposition auf: WELCOME TO DATACORP, BLACKRIDGE 2, 67 N 5.48 50 W 14.45. Gleichzeitig mit der letzten Ziffer erscheint auf dem Gipfel eine stilisierte Mini-Radarstation, nur wenige Pixel hoch. Schnell ein Stift, wer weiß, ob man aus dem Emulator raus einenScreenshot machen kann. Ich springe zur Kunstholzanrichte rüber, reiße den Karton von einem Miller-Sixpack ab und ritze mit dem Autoschlüssel die Zahlenfolge in die Pappe. Gerade als ich beim »W« angekommen bin, fällt mein Blick auf die Netzwerk-Anzeige des Rechners. Die grüne Leuchtdiode blinkt wild in kurzen Abständen auf. Blink, blink, kurze Pause, dann beginnt das Stakkato von Neuern. Der Computer versucht anscheinend, Datenpakete über das Funknetz des Sands abzuschicken. Seltsam, bis auf den Emulator sind alle Anwendungen geschlossen. Reflexartig zuckt meine Hand zum Ausschalter. Komm schon, komm schon, komm schon. Quälend lange Sekunden vergehen, bis sich der Rechner endlich kalt runterfährt. Der Lüfter stirbt, die Tastenbeleuchtung verlischt. Mit dem Pappkarton in der Hand renne ich raus zum Pool.
»Alteeeeer.«
LEVEL 26
Es ist nicht so, dass Nick mir nicht glaubt. Das ginge ja noch. Nein, er tut so, als ob er mir glaubt, was noch viel schlimmer ist, denn das bedeutet, wir können über die Sache nicht einmal ernsthaft diskutieren. Mit einem väterlichen Unterton in der Stimme verkündet er »Na, dann gucken wir mal« und fährt seinen Rechner hoch. Es hat verdammt lange gedauert, bis ich ihn vom Nutten-Watching loseisen konnte, schließlich war gerade eine l,90-Blondine in die Lobby stolziert. Immerhin kann man sich bei Nick auf eine Sache verlassen: dass er knallwach ist, sobald seine Augen einen Bildschirm sehen; das schlägt bei ihm sogar Fick-mich-Pumps mit Plateausohle. Und so dauert es auch nur wenige Augenblicke, bis er wieder hochkonzentriert auf die Tastatur einhackt, trotz der ganzen Mit-Fahrbiere, die er intus hat. Als Supernerd lebt Nick mit seinem Computer in einer Art Symbiose; wäre etwas mit dem System nicht in Ordnung, würde er es sofort spüren, da braucht er kein Diagnoseprogramm für. Routiniert checkt er sein Baby durch, scannt mit ein paar schnellen Griffen Systemdateien, Logfiles und Registry auf Auffälligkeiten - ohne Ergebnis. Nichts deutet darauf hin, dass E.T. heimlich nach Hause telefoniert hat.
»Um sicherzugehen, müsste ich natürlich alle Dateien genau scannen«, murmelt
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