Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)
Flecken auf unserem Planeten mit eigenen Augen zu sehen: den weltberühmten Ayers Rock, einsame und wunderschöne Strände, das Opernhaus in Sydney, die unendliche Weite des Outbacks und vieles mehr. Jeden der sieben Bundesstaaten durfte ich bewundern: Western Australia, South Australia, Queensland, New South Wales, Victoria, Northern Territory und Tasmanien. Doch ich reiste nicht nur die ganze Zeit durch das Land, sondern finanzierte mir den Aufenthalt durch Gelegenheitsjobs. Diese waren nicht immer ein Zuckerschlecken, sondern stellten teilweise harte körperliche Feldarbeit dar. Ob Trauben, Äpfel, Gurken, Melonen, Paprika oder Zwiebeln, es gab fast keine Obst- und Gemüsesorte, die ich in Australien nicht in meinen Händen gehalten hätte. Acht bis zehn Stunden am Tag immer die gleiche Tätigkeit zu verrichten, bei vierzig Grad Außentemperatur, auf einem riesigen Feld, war für einen frisch gebackenen Diplom-Betriebswirt eine gewaltige Umstellung. Einen meiner längsten Arbeitsaufenthalte hatte ich in Naracoorte. Naracoorte ist mit gut 5.000 Einwohnern eine ländlich geprägte Kleinstadt im Südosten des Bundesstaates South Australia und liegt etwa 330 Kilometer von Adelaide entfernt. In diesem Ort befand sich die Naracoorte Backpackers, eine Unterkunft mit lauter jungen, arbeitswilligen Reisenden. Die Naracoorte Backpackers fungierte als Vermittler zwischen den einzelnen Farmern aus der Gegend und den Backpackern. Wer nicht wirklich arbeiten wollte, durfte auch nicht in dieser einfachen Herberge wohnen. Gleich nach meiner Ankunft wurde ich einer Farm zugeteilt. Die ersten Tage sind immer die schwierigsten, weil man sich als Backpacker wieder an den neuen Tagesrhythmus gewöhnen muss. Kurz vor fünf Uhr klingelte mein Wecker und es war für mich eine enorme Überwindung, aufzustehen und zum Frühstück zu gehen. Eine weitere Herausforderung bestand darin, jeden Morgen in die dreckigen, stickenden Klamotten zu steigen, die man für die Arbeit auf dem Feld bekam. Dann ging es, zusammen mit gut 25 anderen Backpackern, im Bus zur Farm, einem riesigen Winzergrundstück. Um 6:30 Uhr war Arbeitsbeginn. Unsere Aufgabe bestand darin, Trauben zu schneiden, den ganzen Tag lang. Reihe für Reihe. Und diese schienen unendlich lang zu sein. Die Zeit verstrich dabei nur langsam, Minuten kamen mir wie Stunden vor, Stunden wie Tage. Die aufkommende Hitze machte diese sehr monotone Tätigkeit fast unerträglich. Ich war immer froh, wenn die Glocke ertönte, die die Pause und das Ende der Arbeit markierte. Jeder Tag zog sich gewaltig in die Länge. Das ging fast vier Wochen so, tagaus, tagein immer die gleiche Tätigkeit. Sogar am Wochenende wurde mitunter gearbeitet. Nur als das Thermometer an einem Tag 46 Grad anzeigte, wurde die Arbeit ausnahmsweise eingestellt. Ich dachte in dieser Zeit häufig, und ich hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken während des Traubenschneidens: Warum tue ich mir das nur an? Warum mache ich diese Tätigkeit bloß? Ich hatte ein paar Mal den Gedanken, die Arbeit einfach hinzuschmeißen und weiterzureisen. Doch mir wurde jedes Mal bewusst, dass ich ohne diesen Job kein Geld verdienen würde und somit meine Reise nicht fortsetzen könnte. Deshalb stand ich weiterhin jeden Morgen um kurz vor fünf Uhr auf, quälte mich in meine miefenden Arbeitsklamotten und versuchte, das Beste aus dem Tag zu machen. Ich hatte die Einstellung, dass ich diesen Job, so monoton und unbequem er auch war, zu Ende bringen wollte. Und ich schaffte es auch. Nach einem guten Monat in Naracoorte war meine Reisekasse wieder voll und ich konnte die nächsten sechs Wochen wieder weiter durch Down Under reisen. Diese Erfahrung hat mich für mein weiteres Leben ungemein geprägt. Wenn ich heute beispielsweise in einem beruflichen Projekt nicht weiterkomme, dann denke ich oft an die Zeit in Naracoorte zurück und sage mir: „Im Vergleich zur Farmarbeit ist diese Aufgabe doch paradiesisch.“ Es fällt mir danach leichter, weiterzuarbeiten und das Beste aus dieser Situation zu machen.
Wenn ich heute an meine Zeit als Kind und Jugendlicher zurückdenke, dann wird mir immer mehr bewusst, dass ich die wirklich wichtigen Dinge in meinem Leben nicht in der Schule und auch nicht im Studium gelernt habe. Weder habe ich gelernt, wie ich mir Ziele setze, noch habe ich erfahren, wie ich vor anderen Menschen spreche. Und mir wurde auch nicht beigebracht, wie ich mein Talent und meine Fähigkeiten am besten einsetzen kann. Das alles habe ich
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