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Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)

Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)

Titel: Extrem: Die Macht des Willens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Bücher
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unheimliche Laute − die endlose Geräuschkulisse der Dschungelbewohner wirkt einerseits faszinierend auf mich, auf der anderen Seite dreht man fast durch. Immer wieder nehme ich auch links und rechts des Pfades ein Rascheln wahr. Neugierig drehe ich meinen Kopf Richtung Geräusch, in der Hoffnung ein seltenes Tier erblicken zu können. „Einen Jaguar nimmst du zuerst durch die Nase wahr, bevor du ihn siehst“, kommt mir die Botschaft vom Dschungel-Überlebenstraining in den Sinn.
    Bin ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg? Ich habe schon länger keine Markierung mehr gesehen. Ein Verlaufen im Dschungel könnte fatale Folgen haben. Das ist bisher erst einem Läufer bei diesem Rennen passiert, der einem falschen Pfad gefolgt war und erst Stunden später in der Nacht unter Schock vom Suchtrupp gerettet werden konnte. Glücklicherweise erblicke ich nun ein gelbes Band ein paar Meter vor mir.
    Dann endlich, nach acht Stunden, habe ich es geschafft und das Ziel der zweiten Etappe erreicht. Ich habe noch nie acht Stunden für eine Strecke von 23 Kilometern benötigt. Umgehend suche ich mir einen Platz für meine Hängematte. Während des gesamten Rennens wird in provisorisch eingerichteten Zeltlagern am Tapajos-Fluss geschlafen. Meine winzige Hängematte stellt während des Rennens mein Zuhause dar. Meine Kleidung ist völlig durchnässt und von oben bis unten voller Schlamm, Morast und Dreck. Auch meine Füße sind völlig aufgeweicht, aber wie durch ein Wunder blasenfrei geblieben. Winzige Sandkörner reiben an meiner Haut. Mein Kopf fühlt sich schwer wie ein Betonklotz an. Die lange Etappe und vor allem die erbarmungslose Hitze machen mir und auch den anderen Läufern zu schaffen. Ich sehne mich nach einer warmen Dusche, einem ruhigen und kühlen Zimmer und einem komfortablen, sauberen Bett. Das ist nur mein Wunschdenken, hier im Dschungel existiert kein Komfort. Keinerlei Luxus. Ich bin froh, wenn ich in meiner Hängematte sitzen und meine Fertignudeln aus der Tüte essen darf. Das stellt für mich Luxus in diesen Tagen dar. Auch hier im Lager ist weiterhin Konzentration und Aufmerksamkeit angesagt, denn der Dschungel schläft bekanntlich nie. Ein unachtsamer Augenblick kann ins Unglück führen. Einfach auf dem Boden zu sitzen, zu entspannen oder seine Sachen unbeobachtet liegen zu lassen, kann hier fatale Folgen haben. Im gestrigen Camp durften wir Bekanntschaft mit einer großen, behaarten Vogelspinne machen. Unzählige Insekten und vor allem Ameisen belagern jeden Abend unsere Hängematten und Rucksäcke. Deshalb ist es ratsam, beim Aufstehen unter seiner Hängematte nach solchen Tieren Ausschau zu halten. Wenn die Sonne untergeht, treiben Moskitos ihr Unwesen. Während des Jungle Marathons juckt es permanent auf meiner Haut und Sand scheint an jeder Stelle meines Körpers zu sein.
    Plötzlich fängt sich alles um mich herum an zu drehen. Mir wird auf einmal schlecht und schwindelig. Umgehend begebe ich mich zum Ärzteteam. Dort angekommen, breche ich zusammen. Ab diesem Punkt habe ich einen totalen Filmriss. Ich nehme nur ab und an ganz schwach einzelne Stimmen wahr, die sehr besorgt klingen. Infusionen folgen. Eine, dann noch eine und wieder eine. Vor Nadeln, Infusionen und ähnlichen Dingen habe ich eine riesengroße Aversion. Und jetzt begleitet mich solch ein Teil an meiner linken Hand. Zitternd liege ich am Boden, unfähig mich aufzurichten, geschweige denn aufzustehen. Nach einer Weile kommt Brett, der „Chefarzt“ bei diesem Rennen, zu mir und stellt mir Fragen. „Welchen Tag haben wir heute? Wo bist Du gerade? Wie heißt Du?“ Mir ist in diesen Momenten überhaupt nicht bewusst, wo ich mich befinde. Alles ist dunkel um mich herum. Ich stammle irgendwelche wirren Dinge vor mich hin und bin nicht in der Lage, einen korrekten Satz von mir zu geben, geschweige denn die Fragen richtig zu beantworten. Mir ist einfach nur kalt, dabei hat es selbst um 21 Uhr noch dreißig Grad. In meinem Kopf treibt eine gewaltige Achterbahn ihr Unwesen. Erst Stunden später schaffe ich es, wieder auf beiden Beinen stehen zu können und im Zeitlupentempo Richtung Hängematte zu marschieren. Ich habe mich selten zuvor in meinem Leben so mies gefühlt. Das Schlimmste für mich ist dabei die Tatsache, dass ich mich und meinen Körper nicht mehr kontrollieren kann. Von einem Moment auf den nächsten bin ich k.o. gegangen. Das macht mir Angst. Was soll ich jetzt tun? Meine Uhr zeigt mittlerweile kurz nach Mitternacht an.

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