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Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)

Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)

Titel: Extrem: Die Macht des Willens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Bücher
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Stattdessen sagte ich mir: „Okay, ich bin nicht mehr im Rennen, das ist aus sportlicher Sicht sicherlich unbefriedigend. Doch ich befinde mich nach wie vor in einem der beeindruckendsten Gebiete der Erde und ich möchte die nächsten Tagen noch genießen.“ Und das machte ich auch. Ich habe die folgenden Tage, nachdem es mir wieder besser ging, weiter im Dschungel verbracht, wanderte einzelne Etappenabschnitte, genoss die Nächte in meiner Hängematte und erfreute mich an der atemberaubenden Flora des Dschungels. Dabei unterstützte ich die anderen Läufer, so gut es ging. Ich verschenkte meine Riegel und Gels, half an den Verpflegungsposten aus und feuerte die Läufer mit aller Kraft an. Das half mir zum einen, nicht mehr an meinen Rennabbruch zu denken. Zum anderen bekam ich etwas wirklich Wertvolles zurück: Dankbarkeit. Die Mitläufer zollten mir Respekt und Dankbarkeit, dass ich weiter bei ihnen war. Sie freuten sich über jedes motivierende Wort, über jeden Handgriff, den sie nicht mehr selbst machen mussten. In diesen Momenten dachte ich nicht mehr an meinen Abbruch des Rennens, sondern ich fühlte mich als wichtiger Bestandteil des Teams und der Gemeinschaft. Diese Erfahrung hätte ich niemals gemacht, wenn ich noch im Rennen gewesen wäre. Das schaffte ich nur, weil ich mich auf die positive Seite des Scheiterns konzentrierte. Darüber bin ich heute froh.
    Eine weitere zentrale Frage lautet: Wie definiere ich überhaupt Scheitern? Auf Wikipedia wird Scheitern als Fehlschlagen eines Vorhabens erklärt. Als ein Bekannter von mir von meiner Aufgabe beim Jungle Marathon erfuhr, da schrieb er mir folgende Zeilen: „Du bist nicht gescheitert, du bist nur gescheiter (t).“ Darüber dachte ich lange nach. Bei meinen Extremläufen stehen sich ja immer zwei Spieler gegenüber: der Vernünftige und der Willensstarke. Der Vernünftige denkt immer sehr rational und ist auf Daten, Zahlen und Fakten fokussiert. Er hört sehr häufig in seinen Körper hinein und passt sich diesem mit seinem Verhalten an. Der Willensstarke will sein Ziel immer und überall und unter allen Umständen erreichen. Dabei hört und beachtet er nicht die Signale, die ihm der Körper sendet. Diese beiden Akteure spielen nicht miteinander, sondern gegeneinander. Als ich im Dschungel in Folge von Erschöpfung und Hitzschlag zusammengebrochen bin, sagte der Vernünftige: „Das war jetzt zu viel des Guten. Denk an deine Gesundheit und hör’ auf, bevor noch etwas Schlimmeres passiert.“ Der Willensstarke hingegen meinte: „Ein Zusammenbruch kann einmal passieren, doch das Rennen geht weiter. Du wirst das Ziel erreichen, koste es, was es wolle.“ Welcher Spieler ist Ihnen sympathischer? Was ist in dieser Situation gescheiter? Welche Entscheidung ist klüger? Ist es nicht sogar ein Zeichen der Stärke, wenn man ein Projekt oder ein großes Ziel auch einmal abbricht? Ich entscheide immer situativ und verlasse mich auf meinen großen Erfahrungsschatz. Meine Intuition und mein Bauchgefühl spielen dabei eine entscheidende Rolle. Ich höre immer sehr genau in mich hinein und wäge die Konsequenzen ab, die ein Weitermachen oder Aufgeben ergeben würden. Erst danach treffe ich eine endgültige Entscheidung. Im Dschungel hat der Vernünftige über den Willensstarken gesiegt. Beim Lauf um den Mont Blanc im Jahr 2009, als ich mehrere Blasen an meinen Füßen hatte, stellte ich den Willen über die Vernunft. Ich bin dort weitergelaufen, weil ich mit Blasen an den Füßen in der Regel keine langfristigen gesundheitlichen Schäden davontrage. Doch wenn eine Verletzung oder Krankheit ernsthafte Konsequenzen für meine Gesundheit hätte, dann würde ich mich wieder für einen Abbruch entscheiden und die Vernunft über die Willenskraft siegen lassen.

Vernunft sagt Nein – Willenskraft sagt Ja
    Der Jungle Marathon stellt aber nicht mein erstes „DNF“ dar. Die Abkürzung DNF steht übrigens für „Did Not Finish“ und bedeutet, dass man das Ziel bei einem Rennen nicht erreicht hat. Zwei Jahre zuvor musste ich bereits bei einem anderen Lauf vorzeitig abbrechen. Im Juli 2008 nahm ich an einem sehr anspruchsvollen Etappenlauf teil, genauer gesagt am längsten Berglauf Europas: dem Swiss Jura Marathon, einem Rennen über insgesamt 350 Kilometer und 11.000 Höhenmeter von Genf nach Basel. Sieben Tage lang läuft man täglich mehr als eine Marathondistanz auf dem Schweizer Juraweg. Als wenn das nicht schon genug wäre, kommen dazu noch einige Tausend

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