Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)

In vier Stunden heißt es wieder aufstehen. Die dritte Etappe steht auf dem Programm. 35 Kilometer, fast so viel wie Etappe eins und zwei zusammen, geht es wieder durch dichten Dschungel. Soll ich den Lauf mit aller Gewalt, mit aller Willenskraft finishen? Mit dem Risiko, dass ich vielleicht mitten im Dschungel zusammenbreche? Oder soll ich dieses Mal meine Vernunft über den Willen stellen und das Rennen abbrechen?
    Ich höre in meinen Körper hinein und entscheide mich intuitiv für einen Abbruch. Ehrlich gesagt, gibt es für mich in diesem Moment auch keine Alternative. Für mich steht, nach kurzer Überlegung, umgehend die Entscheidung fest: Ich breche das Rennen hier ab! Diese Entscheidung ist für mich im ersten Moment natürlich sehr schmerzhaft und richtig bitter. Denn über Monate habe ich mich auf dieses Rennen vorbereitet, habe sehr viel Zeit, Energie und auch Geld in das Projekt Jungle Marathon investiert. Und nach nur zwei Tagen, nach ganzen 39 Kilometern ist das Rennen für mich vorüber. Aus und vorbei! Das ist hart. Wie ein Haufen Elend sitze ich auf dem schlammigen Boden im Lager und starre ins Leere. Eine eigenartige Ruhe umgibt mich. Für den wolkenfreien Himmel mit seinen funkelnden Sternen habe ich überhaupt keine Augen. Ich bin einfach nur leer, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Dann schaffe ich es, in meine Hängematte zu steigen und ein wenig zu schlafen.
    Nach ein paar Wochen Abstand sehe ich diese Erfahrung schon aus einer anderen Perspektive. Auch das Scheitern gehört zu unserem Leben und kann für die Weiterentwicklung ungemein positive Auswirkungen haben, wenn man die richtigen Konsequenzen daraus zieht. Im Sport wie im Berufsleben. Läuft bei Ihnen im Job immer alles glatt? Oder haben auch Sie mit Rückschlägen zu kämpfen? Entscheidend dabei ist, dass man sich durch Rückschläge nicht entmutigen lässt, sondern weiter seinen Weg geht, dass man seinem Scheitern offen und ehrlich gegenübersteht und dass man seine Fehler analysiert und aus ihnen lernt. Dann kann einem solch eine Erfahrung viel mehr bringen als der größte Sieg. Unser Leben ist nicht nur durch Erfolge, Siege und glorreiche Momente gekennzeichnet. Im Gegenteil, unser Leben gleicht einer Achterbahn. Hochs und Tiefs wechseln sich ab. Erfolge und Niederlagen halten sich die Waage. Die entscheidende Frage ist doch: Wie gehe ich mit einem Rückschlag um? Was mache ich nach einem Scheitern? Ich kann mich verkriechen und aufgeben. Oder ich sehe dem Scheitern ins Auge und mache weiter. Ich entscheide mich immer für die zweite Option. Wenn ich mir ein Ziel setze, dann werde ich auf dem Weg dorthin unzählige Erfahrungen sammeln – positive wie negative. Ich gehe einen Schritt voran und fliege dann auf die Schnauze. Ich bewältige wieder drei Schritte und erhalte erneut einen Dämpfer. Ein sehr gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang meine Tochter Marla. Während ich diese Zeilen schreibe, versucht sie gerade, ihre ersten Schritte ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Sie richtet sich auf, steht dann auf beiden Beinen, fängt ganz langsam an, den ersten Schritt zu machen und fällt wieder hin. Sie steht wieder auf, schafft dieses Mal so gar zwei Schritte und fällt wieder auf den Boden. Ähnlich verlief es bei meinen Vorträgen. Nach den ersten Erfolgen in meiner Rednerkarriere dachte ich: „Wow, das läuft ja richtig gut an. Das ist ja fast ein Selbstläufer.“ Was für ein gewaltiger Irrtum! Beim nächsten Vortrag fiel das Mikro aus, meine Videosequenzen funktionierten nicht und ich zeigte nicht die gewohnte Präsenz auf der Bühne. Das ist das Leben. Wir scheitern. Wir lernen. Wir entwickeln uns weiter.
    Eine elementar wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist: Wie sehe ich den Rückschlag? Aus welchem Blickwinkel betrachte ich ihn? Sie können sich sagen: „Ich bin kläglich gescheitert. Ich bin einfach ein Verlierertyp!“ Oder Sie sagen sich: „Das war eine unangenehme, aber wichtige Erfahrung, die mich weiterbringt. Das nächste Mal mache ich es besser.“ Merken Sie den Unterschied? Bei der ersten Alternative findet man sich einfach so mit dem Scheitern ab, während man bei der zweiten Option das Scheitern als wertvolle Erfahrung sieht und aus dieser lernen will. Nach dem Abbruch beim Jungle Marathon hätte ich leicht sagen können: „Nach nur zwei Tagen aufgegeben, was für eine Blamage! Alles ist schiefgelaufen.“ Ich hätte nur auf die negativen Aspekte dieses Abenteuers fokussieren können.