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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Leben gelebt hatte, aber trotzdem noch unsichtbare Freunde brauchte, und an das Daumenhakeln, das wir mindestens tausend Mal gespielt hatten.
    MARGIE CARSON : Hey, Hamlet, wo ist Polonius?
    JIMMY SNYDER : Beim Nachtmahl.
    MARGIE CARSON : Beim Nachtmahl? Wo?
    JIMMY SNYDER : Nicht, wo er isst, sondern wo er gegessen wird.
    MARGIE CARSON : Wow!
    JIMMY SNYDER : Ein König könnte seine Staatsreise durch die Gedärme eines Bettlers machen.
     
    An diesem Abend, auf dieser Bühne, unter diesem Schädel fühlte ich mich dem ganzen Universum unglaublich nah, aber ich fühlte mich auch extrem allein. Ich fragte mich zum aller ersten Mal, ob das Leben die ganze Mühe lohnt, die man sich machen muss, um es leben zu können. Was genau macht das Leben lebenswert? Was ist so schrecklich daran, für immer tot zu sein und nichts mehr zu fühlen und nicht einmal mehr zu träumen? Was ist so toll am Fühlen und Träumen?
    Jimmy fasste mir ans Kinn. »Hier hingen diese Lippen, die ich geküsst habe, ich weiß nicht, wie oft. Wo sind nun deine Schwänke? Deine Sprünge? Deine Lieder?«
    Vielleicht lag es an all den Ereignissen der vergangenen zwölf Wochen. Oder vielleicht daran, dass ich mich an diesem Abend allem so nahe und gleichzeitig so allein fühlte. Ich mochte einfach nicht mehr tot sein.
    ICH : Ach, armer Hamlet ( Ich fasse JIMMY SNYDER unters Kinn ): Ich kannte ihn, Horatio.
    JIMMY SNYDER : Aber, Yorick … du bist doch nur … ein Schädel.
    ICH : Na, und? Kann dir doch egal sein. Fick dich.
    JIMMY SNYDER :( Flüstert ) Das steht nicht im Text. ( Er blickt sich Hilfe suchend nach MRS RIGLEY um, die in der ersten Rei he sitzt und wild im Text blättert. Sie malt mit ihrer rechten Hand Kreise in die Luft, das internationale Zeichen für »impro visieren« .)
    ICH : Ich kannte ihn, Horatio; ein Vollidiot von schier un endlicher Blödheit und unübertroffen gar, wenn er sich im Jungenklo im zweiten Stock einen runterholte – ich habe Beweise. Er ist überdies legasthenisch.
    JIMMY SNYDER :( Fällt dazu nichts mehr ein )
    ICH : Wo sind nun deine Sticheleien? Deine Kapriolen? Dei ne lustigen Lieder?
    JIMMY SNYDER : Was redest du da eigentlich?
    ICH : ( Weise auf die Anzeigetafel ) Schwanzlutsch doch meinen Cockerspaniel, du stinkender, tieflöchriger Haufen Schei benkleister!
    JIMMY SNYDER : Huh?
    ICH : Du wirst für schuldig befunden, Schwächere gequält zu haben; Naivlingen wie Toothpaste und The Minch und mir hast du das Leben zur Hölle gemacht; du hast geistig Behinderte nachgeäfft;du hast Menschen, die sowieso fast nie einen Anruf bekommen, am Telefon verarscht; du hast Haustiere und alte Menschen – die, ganz nebenbei gesagt, klüger und erfahrener sind als du – terrorisiert; du hast dich über mich lustig gemacht, nur weil ich eine Katze habe … Und außerdem habe ich gesehen, wie du Müll einfach in die Gegend geworfen hast.
    JIMMY SNYDER : Ich habe keine geistig Behinderten am Tele fon verarscht.
    ICH : Du bist ein Adoptivkind.
    JIMMY SNYDER : ( Sucht im Publikum nach seinen Eltern )
    ICH : Und niemand liebt dich.
    JIMMY SNYDER : ( Seine Augen füllen sich mit Tränen )
    ICH : Und du hast amyothrophische Lateralsklerose.
    JIMMY SNYDER : Huh?
    ICH : Im Namen der Toten … ( Ich nehme den Schädel ab. Er ist zwar nur aus Pappmaché, aber richtig hart. Ich knalle ihn JIMMY SNYDER an den Kopf, einmal und noch einmal. Er geht zu Boden, er ist bewusstlos, ich staune über meine Kraft. Ich ziehe ihm noch einmal mit aller Gewalt eins über den Schädel, und er blutet aus Nase und Ohren. Trotzdem habe ich immer noch kein Mitleid. Ich will ihn bluten sehen, weil er nichts ande res verdient hat. Und weil alles andere sinnlos ist. DAD ist sinn los. MOM ist sinnlos. DAS PUBLIKUM ist sinnlos. Die Klapp stühle und die Nebelmaschine sind sinnlos. Shakespeare ist sinnlos. Die Sterne, von denen ich weiß, dass sie auf der anderen Seite der Turnhallendecke am Himmel stehen, sind sinnlos. Sinnvoll ist in diesem Augenblick nur, dass ich JIMMY SNYDER die Fresse poliere. Sein Blut. Ich schlage ihm die Zähne ein, und wahrscheinlich rutschen sie ihm glatt die Kehle runter. Überall ist Blut, es bedeckt alles. Ich schlage weiter mit dem Schädel auf seinen Schädel ein, und sein Schädel ist zugleich der Schädel von RON (weil er MOM hilft, weiterzuleben) und der Schädel von DAD (weil er tot ist) und der Schädel von OMA (weil sie mich in eine so peinliche Lage gebracht hat) und der Schädel von DR. FEIN (weil er mich gefragt hat, ob

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