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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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Aufstieg zu gefährlich erschien:
    „Zum Zeitpunkt unseres Aufbruchs vom Basislager nach Lager I schneite es ziemlich heftig. Am nächsten Morgen war klar, dass wir im Lager I einen Tag Pause einlegen müssen, da die Neuschneemenge zu groß wurde. Zum Glück schien die Sonne, sodass die großen Lawinen alle abgingen, wir waren zuversichtlich am nächsten Tag gut nach Lager II zu kommen. Leider begann es schon nach Mitternacht wieder zu schneien und als wir um 5.00 Uhr früh noch im Dunkeln unsere Zelte verließen maßen wir schon wieder ca. 15 cm Neuschnee. […] Vor der Querung sagte Ralf plötzlich zu mir: ‚Gerlinde, ich dreh um, mir ist das zu spannend.‘ Dieser Moment war sehr schwierig für uns beide. Würden wir umdrehen und noch zuwarten, würde die Neuschneemenge zu groß werden, somit hätten wir keine Chance mehr weiter zu kommen. Ich erläuterte Ralf meine Überlegungen und auch, dass mein Bauchgefühl ein gutes sei. Ralf hingegen hatte ein ganz anderes Gefühl. Wir respektierten gegenseitig unsere Entscheidung, so stiegen erst mal noch Maxut, Vassiliy, Darek, Tommy und ich weiter.“
    Nicht alle Extrembergsteiger zeigen sich so reflektiert wie das Team um Gerlinde Kaltenbrunner. Tobias Bach, Diplom-Sportlehrer und Fachübungsleiter fürs Skibergsteigen beim Deutschen Alpenverein, hat Extrembergsteiger zum Thema Angst und Selbsteinschätzung interviewt. In seiner Untersuchung Angst bei Extrembergsteigern schreibt er, der Hang, ernstzunehmende gesundheitliche Probleme oder schlechte äußere Bedingungen zu ignorieren, habe viel mit Versagensängsten und dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun. Daneben können auch ganz handfeste Gesichtspunkte, zum Beispiel finanzielle Aspekte, eine Rolle spielen für die Entscheidung, trotz drohender Gefahren weiterzugehen. Eine von langer Hand geplante Expedition ist enorm kostspielig. „Auch die Angst vor Regressforderungen, die […] unter Profibergführern in einem viel höheren Maß als manche alpine Bedrohung Thema ist“, kann ein Grund sein, bestehende Risiken auszublenden. Selbst das Renommee eines Bergführers kann auf dem Spiel stehen und ihn zu Entscheidungen verleiten, die lebensgefährlich sind: „So absurd das klingt, […] die Vorstellung abzustürzen [ist] subjektiv weniger bedrohlich als abzubrechen.“
    Doch bei aller Umsicht kann man nicht alles vorhersehen. Auch Gerlinde Kaltenbrunner wurde schon einmal in ihrem Zelt liegend von einer Lawine überrascht und mitgerissen. Ich frage sie nach der Angst, die sie in diesem Augenblick gehabt haben musste:
    „Es ging alles so schnell, dass ich eigentlich keine Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken. Aber wenn ich mich genau erinnere: Ich war im Zeltinneren und dann war schon einen Moment lang diese Angst da, dass ich in dem Zelt 800 Meter tief in einen Abgrund stürze. Es war mir klar, dass es dann komplett vorbei wäre. Aber ich bin vorher zum Stillstand gekommen. Als ich das Zelt mit dem Messer aufgeschlitzt hatte, hatte ich ein paar Sekunden Panik, dass der Schnee auf mein Gesicht drücken und ich dadurch ersticken könnte. Aber Gott sei Dank konnte ich mich befreien.“
    Kaltenbrunner hatte Glück. Eine Lawinenverschüttung ist einer der gefährlichsten alpinen Unfälle. Die Sterberate liegt bei fast 25 Prozent. Wenn Kopf und Oberkörper verschüttet sind, sogar bei über 50 Prozent, berichtet der Mediziner und Vorsitzende der Sektion Oberland des Deutschen Alpenvereins Dr. Walter Treibel. „Insgesamt sterben bei Lawinenunfällen pro Jahr circa 150 Personen in Europa und Nordamerika. […] Ein gewisser Prozentsatz der Verschütteten stirbt durch mechanische Verletzungen. […]Danach sinken die Überlebenschancen infolge von Erstickungsgefahr sehr rasch (70 % der Todesfälle).“
    Bach schreibt über die Lawinengefahr, es sei eine Situation von Kontrollverlust, „jedoch ein Szenario, mit dessen Eintreten der Bergsteiger in Schnee und Eis grundsätzlich rechnet und welches eine eindeutige Handlungsaufforderung gibt.“ Nämlich, sich „mit aller Kraft Richtung Leben“ zu stemmen. Diese Art von Kontrollverlust, so Bach, sei zwar eine katastrophale, aber für die Vorstellungswelt eines Bergsteigers bekannte Gegebenheit.
Dinge sehen, die nicht da sind
    Eine für Höhenbergsteiger ebenso vertraute Art von Kontrollverlust ist das Einsetzen von Halluzinationen, die durch die Höhenkrankheit ausgelöst werden. Berghold und Schaffert schreiben in ihrem Buch, dass sogar „psychotische Zustände beim

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