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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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sich einem alle Nackenhaare. Klamotten, die mit dem Surströmming in Berührung kämen, könne man eigentlich nur noch verbrennen.
    Nie und nimmer hätte mich jemand dazu gebracht, so einen gammeligen Hai oder Hering zu probieren. „Du bist wahrscheinlich einer der extremsten Menschen, wenn es darum geht, Ekel-Essen zu probieren. Was war denn für Dich das Schlimmste, das Du jemals kosten musstest?“
    „Das ekligste Erlebnis war für mich definitiv das balut , ein fast ausgebrütetes Entenei, das in Vietnam als Delikatesse gilt – eine wirklich widerliche Angelegenheit. Nur noch vier Tage, und das Enten-Küken ist so weit entwickelt, dass es schlüpfen kann. Das Ei wird vor dem Verzehr nur kurz in heißes Wasser gelegt. Ich habe versucht, den Inhalt des balut runterzuschlucken, aber mein Körper hat sich mit extremer Vehemenz dagegen gewehrt.“
    „Worin bestand da der Unterschied zu den vorher beschriebenen Abartigkeiten?“
    „Es war gar nicht so sehr der Geschmack – aber beim balut hat man einen fast ausgebildeten Embryo im Mund: einen fast fertigen Schnabel, Federn, Haut, Innereien, Knochen, Sehnen und Fleisch. Das heißt: Du schmeckst mit einem Bissen alles, was du dir vorstellen kannst. Der Mundraum ist ja sehr sensibel mit seinen unzähligen Geschmacksknospen; mit der Zunge, den Lippen, dem Gaumen und den Zähnen kannst du genau spüren, was beim Kauen zu einer ekligen Masse wird. Und dazu kommt eben das Bewusstsein davon, was du da gerade isst.“ Das balut – eine vietnamesische Delikatesse, die selbst einen erfahrenen Extrem-Reporter wie Harro an seine Grenzen bringt.
    „Wie hat denn Dein Körper noch reagiert?“
    „Ich hatte wirklich einen starken Würgereiz, mit dem ich das Ding dann auch wieder ausgespuckt habe: Das absolute Verschließen des Körpers gegenüber dem, was ich mir in den Mund geschoben hatte. Ja, auch bei mir gibt es eine Barriere! Ich glaube, das ist einfach kulturell bedingt. Manche Schranken im Kopf lassen sich nicht einfach überwinden, selbst wenn man möchte.“
Ekel im Kopf
    Ekel ist eine unserer stärksten Empfindungen, die tief aus unseren Eingeweiden emporsteigt. Die Unmittelbarkeit, mit der sich dieses Gefühl Bahn bricht, kennt wohl jeder. Es überkommt uns einfach, wir können nichts dagegen tun. Und zwar deshalb, weil es sich hierbei tatsächlich um ein sehr altes Körpergefühl handelt, um eine Art Ur-Gefühl. Seit Menschengedenken schützt es den Allesfresser Homo sapiens vorm Aussterben. „Mit all seinen Begleiterscheinungen – Unwohlsein, Brechreiz und Würgegefühl – hält es uns auf Distanz vor Dingen, die unserer Gesundheit gefährlich werden könnten“, erklärt Hirnforscher Dieter Veitl die Funktion dieses reflexartigen Vorgangs.
    Wie alt dieses Phänomen ist, lässt sich auch daran erkennen, dass die vielschichtigen Reaktionen, die ablaufen, wenn wir uns vor etwas ekeln, universell sind. Mögen die Auslöser für ein Unwohlsein auch kulturell oder sozialisationsbedingt sein, alle Menschen, ob in Europa, Asien oder Afrika, machen das gleiche Gesicht, wenn sie Abscheu empfinden: Angewidert nehmen sie den Kopf zurück und halten schützend eine Hand vor Mund und Nase. Die Oberlippe wird hoch-, die Mundwinkel werden heruntergezogen, die Nase gerümpft. Ekeln wir uns sehr, verleihen wir unserem Gefühl noch durch eine herausgestreckte Zunge sowie durch einen impulsiven Ausruf Nachdruck: „Ihhhh!“
    Begleitet wird diese Grimasse von bestimmten körperlichen Reaktionen: angefangen bei kaltem Schweiß und einer Gänsehaut beziehungsweise einem Schauer, der uns den Rücken herunterläuft, bis hin zu feucht werdenden Augen. Darüber hinaus ist unser vegetatives Nervensystemin Alarmbereitschaft versetzt, unser Blutdruck kann sogar so weit absinken, dass uns vor Ekel schwarz vor Augen wird.
    Um sichtbar zu machen, welche Teile unseres Gehirns auf das Ur-Gefühl Ekel reagieren, nutzt man in den Neurowissenschaften sogenannte bildgebende Verfahren – etwa die Magnetresonanztomographie (MRT). Mit diesen Techniken kann man dokumentieren, welche Hirnareale durch den Kontakt mit etwas Ekelhaftem in Alarmbereitschaft versetzt werden. Inzwischen weiß man, dass es kein spezifisches Ekel-Zentrum gibt, wie etwa das Belohnungs- oder Bestrafungszentrum, sondern dass gleich mehrere Hirnareale für diese Emotion zuständig sind.
    Eine dieser Regionen, die Amygdala, ist schon in einem sehr frühen Stadium in der Lage, zu entschlüsseln, welche Bedeutung ein bestimmter

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