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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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Reiz, eine bestimmte Emotion für unseren Organismus hat. Sie wird aktiviert, sobald man Versuchspersonen mit Fotos von verdorbener Nahrung oder unhygienischen Gegenständen konfrontiert, und sie reagiert umso heftiger, je ekliger die Bilder sind. Dabei ist die Amygdala durchaus in der Lage, zwischen einer ernstzunehmenden Gefahr und reiner Vorstellung zu unterscheiden. Wurden Menschen aufgefordert, sich eklige Dinge nur auszumalen, nahm die Aktivität ab. Nach dem Motto: Warum sollte ich mir allein von meiner Einbildungskraft den Magen umdrehen lassen?
    Wie die Information, etwas sei eklig und somit gefährlich, aus dem Gehirn an unseren Körper weitergegeben wird, lässt sich eindrücklich am Beispiel des uns allen bekannten Brechreizes beschreiben: Für das Erbrechen, diesen Katapult-Mechanismus, den der Körper benötigt, um sich verdorbener Nahrung zu entledigen, gibt es im Hirnstamm ein eigenes Zentrum, das sogenannte Brechzentrum. Es verfügt über zahlreiche Nervenverbindungen zum Großhirn (Kortex), wo die Ekelempfindungen verarbeitet werden, und auch zum Gleichgewichtsorgan, das im Kleinhirn liegt (und das zum Beispiel nach einer Achterbahnfahrt Signale ans Brechzentrum weitergibt). Weiterhin steht das Brechzentrum mit dem Blutkreislauf in Verbindung, um gegebenenfalls auf Giftstoffe im Blut reagieren zu können. Und natürlich ist es über eine Nervenbahn mit dem Magen-Darm-Trakt verbunden und reagiert etwa auf einen zu vollen Magen. Kommt es zum Ernstfall, alarmiert es die absteigenden Bahnen der Bauch- und Zwerchfellmuskulatur und regt zu vermehrter Speichelbildung in der Mundhöhle an. Dass uns der Vorgang des sich Übergebens so erschöpft, liegt im Übrigen daran, dass unsere Muskulatur daran gewöhnt ist, Mahlzeiten abwärts zu transportieren. Ist uns schlecht, wird sie dazu aufgefordert, in umgekehrter Richtung zu arbeiten.
Macht Ekel gesund – oder erst richtig krank?
    So weit das normale Ekel-Reaktionsschema. Nun gibt es aber Menschen, die sich über das gesunde Maß hinaus ekeln. Und es gibt Menschen, die ekeln sich überhaupt nicht. Neurowissenschaftler haben festgestellt, dass Ekel bei fast jeder psychopathologischen Auffälligkeit eine Rolle spielt. Bei Frauen, die unter Essstörungen leiden, ist beispielsweise eine höhere Ekel-Sensibilität zu verzeichnen als bei gesunden Menschen. Auch Menschen mit Angststörungen erzählen nicht nur von übergroßer Furcht, sondern von Abscheu vor Dingen, die mit ihrer Störung zusammenhängen. Bei Menschen mit einem Waschzwang könnenverdreckte Gegenstände Ekel hervorrufen. Dass Menschen mit einer Spinnenphobie besonders sensibel auf Fotos der Achtbeiner reagieren, liegt ebenso auf der Hand. Aber auch andere Bilder, die auch gesunde Versuchspersonen ekelerregend finden, werden von Menschen mit einer Störung auf der Ekel-Skala weit höher eingestuft, und es wird deutlich mehr Hirnaktivität bei neurofunktionellen Studien verzeichnet.
    Erfreulicherweise können Phobien oder Zwangsstörungen behandelt werden. Unser Gehirn bildet für alle Erlebnisse sogenannte somatische Marker, vorstellbar als Markierungen, mit deren Hilfe es sich gute oder auch schlechte Erfahrungen merken kann. Diese somatischen Marker sind Teil unseres Ekel-Alarmsystems und bei zwanghaften Menschen zusätzlich auch ein Indikator für ihre Krankheit. Wird nun etwa eine Spinnenphobie erfolgreich verhaltenstherapeutisch behandelt, stellt sich das Gefühl des Ekels beim Anblick oder der Berührung einer Spinne nicht mehr ein. Dies weist auf die Lernfähigkeit unseres Gehirns hin: Wie positive oder – wie beim Ekel – negative Emotionen durch die Marker verstärkt werden können, so können diese erfreulicherweise auch wieder abgebaut werden.
    Patienten, die an der neurologischen Erkrankung Chorea Huntington leiden, besser bekannt als Veitstanz, können leider nicht auf solche Erfolgserlebnisse hoffen. Diese Krankheit beruht auf einer genetischen Anomalie, die unter anderem Symptome wie Muskelzuckungen (daher der Name), Zungenschmatzen, Inkontinenz und auch Veränderungen der Psyche – Launenhaftigkeit, Reizbarkeit, Depressionen, Gefühlsarmut, Demenz – hervorruft. Außerdem fällt es an Chorea Huntington Erkrankten schwer, Ekel zu empfinden – ein Umstand, den Mediziner als Identifikationsmerkmal für die Krankheit nutzen: Testpersonen, deren Ekel-Schwelle ungewöhnlich niedrig ausfiel, stellten sich als Träger der Genmutation heraus. Allerdings ist diese Diagnose nur im

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