Extrem
Placebo-Effekts gerade bei der Linderung von Schmerzen. Was im Klartext bedeutet: Schmerz ist nicht allein Sache des Körpers, der Geist ist wesentlicher Bestandteil seiner Wahrnehmung: Das, was wir über den Schmerz denken, wie wir ihn bewerten, was wir erwarten und mit welchen Emotionen wir ihn verknüpfen, beeinflusst, wie schmerzhaft ein Schmerz wirklich ist.
Warum Abscheu gut für die Moral ist
Currywurst, Hackbraten, Schweinelendchen – oder darf es zur Abwechslung eine Rehkeule sein? Doch halt. Bevor wir in den Genuss all dieser Speisen kommen, muss jemand das Reh aus der Decke schlagen – so nennen es die Jäger, wenn sie dem erlegten Tier das Fell abziehen. Es müssen Hühner und Schweine geschlachtet, Federn gerupft, Innereien entfernt, Köpfe abgetrennt, Blut abgewaschen werden. Die Vorstellung von dem, was sich alltäglich in Schlachthöfen abspielt, lässt viele von uns erschaudern. Der Gedanke an Blut, Innereien und rohes Fleisch – und erst recht deren Anblick – verursacht Übelkeit. Wer seiner Fantasie hier allzu freien Lauf lässt, findet sich bald als Vegetarier wieder. Andererseits muss es eine ganze Menge Menschen geben, denen all dies nichts ausmacht. Seit Jahrtausenden jagt und erlegt der Mensch Wild, um sich davon zu ernähren. Und irgendwie müssen die Tiere ja auf den Teller.
Doch warum verhalten wir uns so widersprüchlich? Warum läuft uns im Angesicht der fertigen Gerichte das Wasser im Mund zusammen, während uns der Anblick ihrer Produktion förmlich den Magen umdreht? Da mich diese Fragen nicht losließen, sprach ich mit meinem Galileo-Kollegen Harro Füllgrabe – Journalist und Extrem-Reporter –, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Welt zu bereisen, um extreme Dinge auszuprobieren und auch alle möglichen exotischen Gerichte zu kosten.
Harro ist der Ansicht, es sei ganz normal, dass uns schon die Vorstellung von Blut und Innereien ekelt. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ekeln eine Art Schutzmechanismus ist und dass Angst und Ekel für unser Sein unerlässlich sind“, lautet seine Erklärung. „Wir ekeln uns ja auch vor Aas – ein ganz fieser Geruch und auch optisch abstoßend. Würden wir uns tatsächlich darüber hermachen, wäre das lebensbedrohlich, Aas ist giftig. Um den Körper und das Leben zu schützen, sind solche Abwehrmechanismen mit Sicherheit evolutionär verankert.“
„Aber kann man seinen Ekel auch überwinden? Und wo liegen Deine persönlichen Grenzen? Oder ist Dir eine höhere Ekelschwelle einfach angeboren?“
„Natürlich gibt es Grenzen, auch bei mir. Durch die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, bin ich mir aber sicher, dass der Kopf eine extrem große Rolle bei solchen Wahrnehmungen spielt. Gerade was die Überwindung von Ekel angeht.“ Was auf den einen abstoßend wirke, sei für den anderen attraktiv, meint Harro. Der beste Beweis seien andere Kulturen. „Die Isländer zum Beispiel essen hákarl , sogenannten Gammelhai.“ Der Eishai ist eigentlich nicht zum Verzehr geeignet, weil er keine Nieren hat. Deshalb lagern sich Stoffwechselgifte überall in seinem Fleisch ein. Eine Methode, um das Fleisch dennoch genießbar zumachen, ist, den Fisch einfach sechs Wochen liegen zu lassen. Sechs Wochen, in denen der Ammoniak allmählich freigesetzt wird und dermaßen stinkt, dass sich keine Fliege auch nur in die Nähe des ranzigen Fisches wagt. Dann wird der hákarl noch mal vier Wochen in die trockene isländische Seeluft gehängt, und fertig ist die nordländische Delikatesse. „Es roch nach einer Rastplatztoilette, die sechs Monate lang nicht gereinigt wurde. Ein ganz fieser Ammoniak-Gestank, der dem Fleisch entströmte. Als ich den Gammelhai probierte, zog sich in meinem Gesicht alles zusammen. Der Konsistenz nach erinnerte er fast ein bisschen an Käse, er war aber auch leicht knorpelig. Ein Geschmack wie Tilsiter Käse plus Fisch plus Ammoniak.“
Isländer sind offenbar nicht gerade zimperlich, wenn es um kulinarischen „Hochgenuss“ geht. Und auch in Schweden hat man mitunter eine andere Vorstellung von dem, was wir in Deutschland als „lecker“ bezeichnen würden.
„Einige Schweden essen Surströmming “, fährt Harro fort, nun ganz in seinem Element, „und die haben damit kein Problem.“
„Sur-was?“, frage ich, nicht sicher, ob ich wirklich wissen will, worum es sich dabei handelt.
Das seien vergorene Heringe, die sechs Monate lang in einem Fass gelagert werden. Der Gestank sei erbärmlich – da sträubten
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