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Extrem

Extrem

Titel: Extrem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Goedde
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Reinigen der Hände uns wirklich von moralischen Skrupeln befreit, belegt ein Experiment: Nachdem Versuchspersonen von einer eigenen unmoralischen Handlung erzählt hatten, durften sie ein kleines Geschenk auswählen: entweder einen Bleistift oder ein antiseptischesFeuchttuch. Bei denjenigen, die sich für das Tuch entschieden, reduzierte das Reinigen der Hände tatsächlich Emotionen wie „Ekel, Bedauern, Schuld, Scham, Peinlichkeit und Wut“ – was in einem anschließend ausgeteilten Fragebogen ersichtlich wurde.
    Ähnliches brachte ein Experiment zu Tage, in dem Versuchsteilnehmer ebenfalls von einer eigenen unmoralischen Handlung berichten sollten. Danach wurden sie aufgefordert, einem Doktoranden, dem die Mittel ausgegangen waren (so die Coverstory), noch bei einem weiteren Experiment zur Verfügung zu stehen. Diejenigen Versuchspersonen, die nach dem ersten Versuch ein Feuchttuch zum Händereinigen erhalten hatten (mit der Erklärung, die Einrichtung würde die Tücher nach dem Benutzen der Institutscomputer zur Verfügung stellen), fühlten sich weniger moralisch verpflichtet, den Doktoranden zu unterstützen, als diejenigen, die sich nicht die Hände hatten sauber machen können. Letztere konnten durch ihre Mithilfe ihr erinnertes moralisch falsches Verhalten kompensieren.
    Wie sehr unsere Ansichten und Gedanken über Moral unser Entscheidungs- und Urteilsvermögen beeinflussen, zeigt auch ein Versuch der Psychologen Julie Fitness und Andrew Jones der Macquarie University, Australien, über den Sebastian Herrmann in seinem Artikel „Würgen mit Moral“ in der Süddeutschen Zeitung berichtete: Dabei sollten Probanden als Geschworene in einem (Schein-)Prozess fungieren. Diejenigen, denen die Psychologen zuvor Aufnahmen ekelerregender Gegenstände zeigten, tendierten zu besonders moralischen Begründungen ihrer Urteile. Versuchspersonen mit einer extrem hohen Ekelsensibilität neigten sogar dazu, die Angeklagten trotz unklarer Beweislage schuldig zu sprechen und besonders harte Strafen zu fordern.
    Wie eng Ekel und Moral in unserer Gesellschaft miteinander verknüpft sind, macht auch der Psychologe David Pizarro von der Cornell University, New York, deutlich, der Amerikaner zu ihren Werten sowie zu ihren sexuellen Ansichten befragte: „Wer besonders konservative Einstellungen vertritt, ekelt sich eher vor ungewöhnlichem sexuellen Verhalten. Und wer wiederum besonders ekelsensibel ist, der vertritt mit höherer Wahrscheinlichkeit konservative Ansichten und lehnt zum Beispiel die Homosexuellen-Ehe eher ab.“
Faszination des Ekels
    Es ist schon erstaunlich, wir ekeln uns vor der Unaufrichtigkeit von Lügnern, vor der Doppelmoral von Kirchenoberhäuptern und der Doppelzüngigkeit von Politikern. Und alles, was wir im eigentlichen oder übertragenen Sinne verurteilen, versuchen wir also von uns fernzuhalten. Denn schlechtes Essen kontaminiert den Körper, Vorstellung den Geist. Gleichzeitig sind Ekel-Sendungen wie das „Dschungelcamp“ Quotenhits und ein eindeutiger Beweis dafür, dass wir uns von den ach so abscheulichen Dingen dieser Welt eben doch nicht ganz so konsequent abwenden wollen.
    Stephen King, einer, der es wissen muss, da er als Meister des Horror-Genres und Kenner der Faszination des Ekels Unsummen verdient, meint dazu: „Das Ekligste, was man sich denken kann, was auch immer es ist: Genau das ist es, was die Menschen wollen.“ Wie wahr: Ob pürierter Känguru-Penis, gebratene Rattenschwänze, ein Bad in Kakerlaken oder in Fisch-Innereien, es gab so gut wie nichts, was die losgelassene Promi-Meute der letzten Staffel von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ im australischen Dschungel ausgelassen hat. Ganz abgesehen davon, dass die „Stars“ vor laufenden Kameras mit überquellenden Plumpsklos zu dealen hatten. Und sechs Millionen Deutsche genossen das Ekel-Spektakel – auch wenn es natürlich niemand gewesen sein will. Denn – igitt – wer will schon solche Schweinereien mit ansehen?
    Die psychologische Erklärung für dieses Phänomen? Der Reiz des Verbotenen. Winfried Menninghaus, Ekel-Forscher aus Berlin, spricht im Fachjargon von einem „invertierten Lustgefühl“. „Lust?“, möchte man an dieser Stelle fragen. „Ich bin doch nicht pervers!“ „Nein, nicht mehr.“ Denn bei dem invertierten, also verkehrten Lustgefühl handelt es sich um Hochgefühle, die wir aus unserer Kindheit kennen, die uns aber abtrainiert wurden. Es seien infantile Lüste, die uns vorm

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