Extrem
nur wahr, sondern entscheidet auch: „Kenne ich den Schmerz schon? Ist er besonders gefährlich, besonders unangenehm? Löst er Angst aus (vor Gefahr), oder aber eine Erinnerung an einen früheren, starken Schmerz?“ Je nachdem, wie der Schmerz eingeordnet wird, fällt die Schmerzwahrnehmung stärker oder schwächer aus.
Auch zur Wirkung von Schmerzmitteln trägt, ähnlich wie bei der Schmerzwahrnehmung selbst, die Bewertung durch das Gehirn bei. Schon beim Anblick der Linderung versprechenden Mittel oder bei der Versicherung durch den Arzt, dass es „gleich besser werde“, wird offenbar ein Signal an jene Hirnregion gesendet, die für Stressreaktionen zuständig ist. Hier werden nun weniger Stresshormone in den Blutkreislauf ausgeschüttet, sodass die Herzfrequenz sinkt und der Patient beginnt, sich zu entspannen. Benedetti fand heraus, dass allein durch die positive Erwartung die sogenannten Opiatrezeptoren aktiviert werden – die für die Wirkung von Schmerzhemmern entscheidend sind. Und schließlich wurde beobachtet, dass dabei zusätzlich Endorphine ausgeschüttet werden. All diese Vorgänge tragen bereits zur Verringerung des Leidens bei.
Dass psychologische Faktoren wie die Zuversicht eines Arztes und der Glaube an Schmerzmittel die Schmerzbewältigung so deutlich beeinflussen, könnte indessen noch eine andere Ursache haben. Erst vor wenigen Jahren, 2006, entdeckten Forscher des französischen Pasteur Instituts ein Schmerzmittel, das der Körper selbst produziert: Das Opiorphin ist ein im menschlichen Speichel vorkommendes Endorphin. Die Wissenschaftler des Pariser Instituts konnten nachweisen, dass Opiorphinmoleküle die gleiche schmerzstillende Wirkung wie Morphium haben, mit deutlich weniger starken Nebenwirkungen. Darüber hinaus wirkt Opiorphin wie ein Antidepressivum, und dies sogar ganz ohne die üblichen Nebenwirkungen.
Es liegt nahe zu vermuten, dass die Wirkung von Placebos möglicherweise auch auf die Aktivierung solcher körpereigenen Schmerzmittel zurückzuführen ist. Um diese Annahme zu prüfen, unternahm Benedetti daher weitere Placebo-Experimente. Er verabreichte seinen Versuchspersonen Naloxon, ein Mittel, das die Rezeptoren für körpereigene Schmerzhemmer blockiert. Und tatsächlich, der Placebo-Effekt blieb aus – der Schmerz hielt unverändert an. Für Benedetti war dies der Beweis, dass durch die psychologischen Vorgänge, die für die Wirkung von Placebos verantwortlich sind, körpereigene Schmerzhemmer aktiviert werden.
Es ist vielleicht ein merkwürdiger Zufall, dass auch die Wirkung der alternativen Medizin erst in jüngster Zeit wissenschaftlich untersucht wurde. Das Ergebnis der Studien, die erstmals auf einer breiteren Datenbasis durchgeführt wurden, zog einen politischen Eklat nach sich: Ausgerechnet Edzard Ernst, einer der ersten Professoren für Alternative Medizin, mit einem Lehrstuhl an der Universität Exeter in England, verkündete, dass die meisten Mittel der alternativen Medizin praktisch wirkungslos seien und ihre Heilungserfolge allein auf dem Placeboeffekt beruhten.„Ärzte, die homöopathische Mittel verschreiben, kennen entweder die Datenlage nicht, oder sie setzen die Mittel als Placebos ein. Der Einsatz von wirklichen Placebos ist allerdings verboten“, so Ernst in einem Video-Interview auf der Website Zeit-Online. Beruflich ist ihm seine umstrittene Überzeugung nicht gut bekommen. Prinz Charles, möglicherweise der nächste König Großbritanniens, ist ein Anhänger der Homöopathie, eine seiner Firmen produziert und vertreibt ein homöopathisches Mittel. Auf dem Gipfel der Auseinandersetzung, die nach der Veröffentlichung von Ernsts Forschungsergebnissen um die alternative Medizin losbrach, bezeichnete der aus Deutschland stammende Professor den Prinzen als Schlangenölverkäufer. Charles selbst äußerte sich nie öffentlich zu diesen Vorgängen, doch offenbar fühlte sich die Universität Exeter dem britischen Königshaus verbundener als einem ihrer Wissenschaftler, und so wird Ernst sich bald von seinem Lehrstuhl zurückziehen.
Ernsts Forschungsergebnisse sind natürlich umstritten, und obwohl hier nicht ansteht, zu entscheiden, wie es um die Wirkungen von alternativen Heilmitteln wirklich bestellt ist, haben sie eben häufig nicht mehr als den Placebo-Effekt zu bieten. Dennoch ist nicht alles, was zur alternativen Medizin gehört, über einen Kamm zu scheren. Und schließlich sind auch Ernsts Studien ein Beleg für die Wirksamkeit des
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