Extrem
nur wenigen auf. Wir sind es eben nicht gewöhnt, Kunst mit den Ohren zu betrachten.
Im Gegensatz zu den Schallwellen, die von einer Quelle ausgesendet werden, entstehen die Echowellen, wenn eine Schallwelle auf einen Gegenstand trifft: Dadurch verändert sich die ursprüngliche Welle in ihrer Länge, ihrer Form und in der Richtung, in der sie sich ausbreitet. Beimalltäglichen Hören filtern wir diese Echowellen neben allen möglichen anderen Störfaktoren als unwichtige Nebengeräusche heraus – denn uns interessiert ja die Quelle des Schalls: ein Telefon, das klingelt, oder die Worte, denen wir lauschen. Wenn die Echowellen jedoch bewusst wahrgenommen werden, liefern sie uns Informationen über die Größe, die Beschaffenheit und den Ort der Gegenstände, an denen die ursprüngliche Schallwelle sich gestoßen hat.
Mit den Ohren sehen
Davon, dass mit der Echo-Ortung erstaunliche Erfolge zu erzielen sind, geben die zwei „Fledermausmädchen“ Julia, 4, und Frida, 5, Beispiel. Steffen Zimmermann, Vater eines der blinden Mädchen, hat mir die Technik der Echo-Ortung in einem Interview erklärt. Um ein Echo zu erzeugen, sendet seine Tochter einen Zungenklick aus, ein hohes Schnalzen, das Schallwellen auslöst und damit die Gegenstände der Umgebung hörbar macht. „Das Gehirn nimmt die Echo-Wellen auf, die durch den Zungenklick ausgelöst wurden – ein fester, harter, scharfer und im Idealfall heller Klick. Und der wird von jedem Gegenstand im Umfeld zurückgeworfen – auf unterschiedliche Art und nach unterschiedlicher Zeit. Die Entfernung spielt eine Rolle; genauso wie die Materialdichte und die Größe des Objekts. All diese Informationen kommen zurück zum Gehirn. Es sind ähnliche Informationen wie die, die das Gehirn durch das Auge bekommt.“
Nach zwei oder drei Wochen Übung, so Zimmermann weiter, wird das Echo in jenen Regionen des Gehirns verarbeitet, in denen bei sehenden Menschen visuelle Eindrücke interpretiert werden. Durch das Schnalzen und dieFähigkeit, die Echowellen den Gegenständen zuzuordnen, von denen sie erzeugt wurden, verschaffen sich Blinde einen räumlichen Eindruck von ihrer Umgebung. Diese Form der Orientierung wird Klick-Sonar genannt, wegen des Klickens der Zunge, dessen Schall als Ausgangspunkt dient. Steffen Zimmermann erklärt, wie Blinde sich diese Technik aneignen: „Das ist genau wie bei Säuglingen ein Lernprozess. Auch ein Säugling muss das Sehen lernen, er kann das nicht von Anfang an. Zunächst ist da ein Strudel von visuellen Informationen. Das Lernen des Sehens beginnt durch Begreifen – das heißt, das Kind lernt zu begreifen: ,Das, was ich da in der Hand habe, ist eine Rassel‘ – und erst dann wird der optische Eindruck dem Begriff ,Rassel‘ zugewiesen. So ist es beim Klick-Sonar auch. Das Gehirn muss lernen, Klänge, die es als Echo zurückbekommt, mit einer Bedeutung zu versehen. Der Lernende muss, nachdem er geschnalzt und einen Gegenstand ,gesehen‘ hat, diesen Gegenstand auch begreifen, also anfassen. Wenn man das einem Blinden beibringt, dann arbeitet man mit verschiedenen Gegenständen, Entfernungen, Materialbeschaffenheiten und Positionen. Man fängt mit Dingen an, die einfach zu hören sind – z. B. mit einer Salatschüssel, die in Armeslänge entfernt gehalten wird und deren Öffnung einem zugewandt ist. Das kann jeder ausprobieren: Sie werden sie sofort finden! Das Echo ist durch die Form der Salatschüssel sehr deutlich zu unterscheiden.“
Es scheint eine der leichteren Übungen zu sein, eine Salatschüssel zu hören. Bei anderen Dingen wird es schon schwieriger, und es erfordert einige Zeit, bis man die Gegebenheiten eines Raums vollständig erfasst. „Es wird einem Sehenden – wie Ihnen und mir – wahrscheinlich unbegreiflich sein, wie das Gehirn es schafft, Echo von direktem Schall zu trennen. Aber das Gehirn hat es nach Monatendes Trainings irgendwann gelernt. Die ersten Erfolge sind nach ein bis zwei Wochen zu beobachten. In einem Trainings-Workshop finden die Teilnehmer schon nach ein paar Tagen Dinge. Dass sich das Gehirn aber darauf einstellt – und zwar der visuelle Kortex des Gehirns –, das dauert einige Wochen und bedarf zwei Stunden täglicher Übung“, erzählt Zimmermann, der inzwischen den Verein „Anderes Sehen“ ( www.anderes-sehen.de ) gegründet hat. Denn in Deutschland vertrauen Blindenverbände bisher noch wenig auf die Möglichkeiten, die das Klick-Sonar als Alternative zum Sehen eröffnet. Und natürlich gibt
Weitere Kostenlose Bücher