Exzession
Tiergehirn geheftet, als sie gesehen hatte, was
ihm widerfuhr; sie hatte das Gehirnsubstrat des Tiers gelesen, es
kopiert, es vor seinem Tod aus ihm herausgesaugt, damit es wenigstens
in irgendeiner Form wieder ins Leben zurückkehren konnte! Sieh
mal! Sie hatte die Datei hier… und schon war sie dahin…)
Sie hatte die Schiffe ringsum zum Narren gehalten, sie hatte sie
belogen, hatte ihnen Mitteilungen geschickt von… von den
Schiffen, an die zu denken sie nicht ertragen konnte.
Aber sie hatte das Richtige getan!
… Oder war es nur etwas, das sie beschlossen hatte für
das Richtige zu halten, als die anderen Schiffe, die anderen Gehirne
sie dazu überredet hatten? Welches waren ihre wahren
Beweggründe? Hatte sie es nicht einfach schmeichelhaft gefunden,
so sehr der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein? War es ihr in der
Vergangenheit nicht immer wieder gegen den Strich gegangen, wenn sie
bei kleinen, aber prestigeträchtigen Aufgaben übergangen
worden war, und hatte sie nicht stets einen bitteren Groll gehegt,
weil man ihr nicht vertraute, da man sie als… ja, als was
eigentlich ansah? Einen Hardliner? Zu sehr dazu neigend, als erste zu
schießen? Zu zynisch gegenüber den sanften Ideologien der
Fleisch-Wesen? Zu zerrissen, was ihre eigenen Gefühle über
ihre eigene kriegerische Heldenhaftigkeit und die beschämende
Moral, die damit einherging, daß man eine für den Krieg
konstruierte Maschine war, betraf? All diese Dinge trafen vielleicht
ein kleines bißchen zu. Aber das war nicht ihre Schuld!
… Aber andererseits, akzeptierte sie denn nicht, daß
jeder die unverminderbare moralische Verantwortung für sein
eigenes Handeln trug? Doch, sie akzeptierte es. Und sie akzeptierte,
daß sie schreckliche, sehr schreckliche Dinge getan hatte. All
die Versuche eines Ausgleichs, die sie unternommen hatte, waren nur
Strudel in der Flut; winzige rückläufige Bewegungen in
Richtung des Guten, voll und ganz hervorgebracht von den wahnwitzigen
Turbulenzen ihres unbesonnenen Strebens nach dem Bösen.
Sie war böse.
Wie einfach diese Schlußfolgerung erschien!
Aber sie hatte Pflichten zu erfüllen gehabt!… Doch sie
konnte nicht sagen, wer ihr diese Pflichten auferlegt hatte, deshalb
mußte sie die volle Verantwortung selbst auf sich nehmen.
Aber es gab noch weitere!… Doch sie konnte sie nicht
identifizieren, deshalb lastete das ganze Gewicht ihrer geteilten
Schuld auf diesem einzigen Punkt, der sie selbst war;
unerträglich, nicht auszuhalten.
Aber es gab noch weitere!… Doch sie konnte den
Gedanken an sie nicht ertragen.
Also mußte jemand, sagen wir mal, eine andere Wesenheit, die
von draußen hereinsah, doch zu dem Schluß kommen –
oder etwa nicht? –, daß diese anderen vielleicht gar nicht
wirklich existierten, daß diese ganze Abscheulichkeit, die
diese Machenschaft darstellte, allein ihre Idee gewesen war, ihre
eigene kleine Verschwörung, ganz allein von ihr ausgedacht und
ausgeführt? Und war das nicht tatsächlich der Fall?
Aber das war so schrecklich ungerecht! Das stimmte einfach
nicht!… Und dennoch konnte sie die Identität ihrer
Mitverschwörer nicht preisgeben. Plötzlich fühlte sie
sich verwirrt. Hatte sie sie in Wirklichkeit nur erfunden? Oder gab
es sie tatsächlich? Vielleicht mußte sie das
überprüfen, indem sie den Speicher, in dem sie aufbewahrt
wurden, öffnete und einen Blick auf die Namen warf, nur um sich
zu vergewissern, daß es tatsächlich die Namen echter
Gehirne, echter Schiffe waren und daß es sich nicht um eine
Hineinziehung unbeteiligter Unschuldiger handelte.
Aber das war entsetzlich! Wie auch immer sie sich danach
fühlen würde, es war schrecklich! Sie hatte sie sich nicht
ausgedacht. Es gab sie wirklich!… Aber sie konnte es nicht
beweisen, weil sie ihre Identität einfach nicht preisgeben
konnte.
Vielleicht sollte sie die ganze Sache einfach abblasen. Vielleicht
sollte sie den anderen Schiffen ringsum Signale mit der Empfehlung
senden, sich aus dem Staub zu machen, anzuhalten, sich
zurückzuziehen oder einfach nur ihre Kommunikationskanäle
zu öffnen, damit sie Signale von anderen Schiffen empfangen
konnten, von anderen Gehirnen, um sich von der Dummheit des ganzen
Unterfangens überzeugen zu lassen. Sollten sie doch ihre eigenen
Entscheidungen treffen! Sie waren nicht weniger intelligente Wesen
als sie selbst. Welches Recht hatte sie, sie mittels einer
abscheulichen, dreckigen Lüge in den Tod zu schicken? Aber sie mußte es tun!… Und dennoch, nein,
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